Geschichtsphilosophie
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Entstehung von Hand und Werkzeug aus kybernetischer Sicht

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Entstehung von Hand und Werkzeug aus kybernetischer Sicht Empty Entstehung von Hand und Werkzeug aus kybernetischer Sicht

Beitrag von ThWangenheim Sa Jan 07, 2017 7:19 pm

Ich "verschiebe" den Teil eines Beitrags nach hier und antworte zugleich:

"Lustigerweise liegt der Latomus  bereits seit über einem Monat geliehen auf meinem Schreibtisch. Ich werde heute noch Ihren Beitrag darin lesen! Mir kamen in MuT übrigens ganz ähnliche Gedanken. Ist es doch so, dass der Seelenforscher Spengler überaus „kybernetisch“ in Günthers Sinne von der Entstehung der Hand und des Werkzeugs spricht.  Alles, was er Menschenseele nennt ist im Grunde das Gleichnis von Hand und Werkzeug – die Menschenseele ist folglich also ein reines Verfahren, jene Taktik des Lebens -, in dessen Mitte zwischen den Extremen (diese Wortwahl ist eine Anspielung auf das Hegel-Kapitel, welches ich noch Ihnen zukommen lasse und einige Sätze verlieren möchte) Herrscher und Diener, Kultur und Natur, Hand und Werkzeug, sich das Selbstbewusstsein der menschlichen Seele formiert. Es ist gewissermaßen jenes „Dritte“ zwischen Denken und Tun und dieses „Dritte“ wollen wir daher vorläufig (un)endliche Potenzialität nennen, „daß die Befreiung vom Zwang der Gattung zunächst nur als große Möglichkeit wirkt und anfangs weit davon entfernt ist, verwirklichter Individualismus zu sein“.
Das habe ich erst jetzt voll zu würdigen gelernt. Zuvor erkannte ich nicht den vollen Umfang seines Begriffs des Menschen, der in MuT so unsystematisch-anatomisch wie möglich gefasst sein will."

Das ist in der Tat eine gegenseitige Beeinflussung: "Wie sich das Werkzeug aus der Gestalt der Hand gebildet hat, so umgekehrt die Hand aus der Gestalt des Werkzeugs." S.28/9 sie haben mit dieser Analogie sogar insofern recht, als eine Seite sich nur teilweise wandelt, nämlich die Hand, die ja als irgendein Greiforgan schon vorhanden war und seine Umgebung aber völlig ändert, nämlich erschafft, das Werkzeug. Allerdings ist die Analogie eine spiegelverkehrte. Denn in der Kybernetik ist es ja die Maschine, die sich nur anpaßt, die Umgebungsbedingungen aber im ganzen Sinne ihrer Arbeitsweise verändert (besonders anschaulich am Beispiel einer chemischen Anlage, in der die Maschineneinstellung das gesamte Reaktionsglas, eine Gasglocke etwa, beherrscht).

Hier kommen wir aber zum zweiten Punkt. Die Hand entsteht für Spengler plötzlich. Sie ist gewissermaßen ein Axiom. Das Werkzeug aber soll ja mit der Hand entstanden sein, also ebenfalls plötzlich. Für dieses Plötzliche will Spengler ausdrücklich keinen Grund angeben: "Es ist das eine innere Wandlung, die plötzlich alle Exemplare einer Gattung  ergreift, ohne "Ursache" selbstverständlich, wie alles in der Wirklichkeit." S.28 - Das steht aber natürlich der Kybernetik ganz provokativ gegenüber. Die Kybernetik ist nämlich im biologischen Sinne eine Evolutionstheorie. Die ist für Spengler, wie ich im Booklet zum Spengler-Hörbuch deutlich mache, eigentlich nur scheinbarer Antipode seines Denkens. Das macht die Einschätzung zwar insgesamt schwer, aber ich zweifle, ob er der Analogie zur Kybernetik zugestimmt hätte.

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Beitrag von Leser Sa Jan 07, 2017 10:42 pm

Ah! Ich wusste doch, in MuT war noch ein viel besseres Zitat versteckt. Ich konnte es in der Eile nicht mehr finden.

Mir scheint, wir stoßen wieder auf eine Fragestellung der letzten Diskussion: Dachte Spengler sich Aufstieg und Untergang symmetrisch? Bejahen wir dies, so bejahen wir auch seine These der gleichzeitigen Wandlung aller Exemplare. Für die Spengler-Deutung mag das alles dann auch stimmen und er hätte vermutlich wirklich nicht viel von der Analogie zur Kybernetik gehalten. Allerdings müssen wir heute nichts von seinem sehr eng gesteckten Zeitraum des Menschen halten, wenn Sie mich fragen. Interessant bleibt dennoch die Entdeckung Spenglers, dass sich das Denken der Hand als ein sich wandelbarer und ständig aktualisierender Prozess zwischen Hand und Werkzeug realisiert/individualisiert. Beim Einzelnen als einzelne Seele, mit dem eigenen Werkzeug, der eigenen Taktik und bei einer Kultur, wie Spengler richtig bemerkt, als Taktik dieser Kultur und ihrer Kulturseele.

Ich formuliere daher das Austreten aus dem Gattungszwang so: man tritt nicht aus dem Gattungszwang, sondern spezialisiert ihn ganz spezifisch, je nach Umgebung, Klima etc. Das ist strukturell gesehen genug. Die konkreten Manifestationen sind natürlich gewaltig divers einerseits, andererseits verletzt es - betrachtet aus der Perspektive der evolutionären Anthropologie - nicht Spenglers Postulat des plötzlichen Auftretens des erfinderischen Menschen. Bloß ist mit Mensch diesmal die Gattung Homo gemeint, die ältesten Werkzeugfunde über 3 Mio. Jahre alt. Mag heute jedes Jahr eine fundamentale Veränderung der Weltlage bedeuten: beweisen tut es gar nichts. Vielleicht kündigt sich damit bloß ein neuer qualitativer Sprung in der Geschichte des Menschen an.

Spenglers Einwand gegen die Kybernetik wäre in etwa das Argument der herausgetretenen Gattung: mag das theoretisch herrschende Raubtier, im unbedingten Gattungszwang verharrend, einer Maschineneinstellung gleichkommen, welche die Gasglocke beherrscht. Der Wert des Menschen und das Hinaustreten liegt aber in der praktischen Beherrschung, d.h. der Freiheit die Maschine überhaupt einstellen zu können - die Hand - dass er sich praktisch gegen die ganze Naturordnung erheben kann.

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Beitrag von ThWangenheim So Jan 08, 2017 10:33 am

Ich glaube nicht, daß eine "Spezialisierung" des Gattungszwanges zu beschreiben vermag, was nicht nur Spengler meint, sondern was überhaupt mit den ersten Werkzeugen geschieht. Denn worauf Spengler hinaus will - daher die etwa kuriose Konstruktion des einsamen Werkzeugbastlers der Frühzeit, der niemanden kopiert (was freilich Unsinn ist) - das ist die Erfindung. Freilich kann diese zugleich oder unabhängig von Mehreren gemacht werden, aber letztlich unterscheidet das eben den Erfinder (die Führer einer Kultur) und die Arbeit der Hände (die Geführten einer Kultur). Für den Beginn dieses Prozesses will ich durchaus mit Ihnen gehen, für das, was daraus erwächst, nämlich tatsächlich "persönliche" Menschentechnik, allerdings nicht.

Das Einstellen der Maschine wird aber auch - und zwar gattungsmäßig - durch Evolution/Mutation möglich. Ändert sich das Treiben draußen, paßt sich das Tier an (oder stirbt eben aus).

Worin ich Ihrer Analogie zur Kybernetik beipflichte ist die Tatsache, daß der Mensch nun selbst an seinen genetischen Einstellungen herumspielt. Nicht im Sinne von Gentechnik, sondern was die Evolution beim Tiere macht, das stellt der Mensch durch Erfindung selbst an. In diesem Falle ist der Mensch selbst die Maschine, deren Handlungsweisen er (selbstreflektiv - d.i. auch kybernetisch) bewußt steuern kann, wozu das Tier unfähig ist. In diesem Sinne ist dann auch jede Selbstreflexion kybernetisch. Aber da sehen Sie schon, was wir im Zweifelfalle wieder unter KuI zu diskutieren hätten: Dieser Zustand der Selbstreflexion wird hier im Grunde nur im Ingenium vollkommen erreicht. Und das ist vielleicht ein weiterer Grund, weshalb mir die Kybernetik einschränkend vorkommt: Sie betrachtet nur den selbstbewußten Teil des Daseins. Wir sind unser aber nicht durchgängig selbst bewußt. Es gibt viele Prozesse im Leben und der Geschichte, die ganz ohne dergleichen passieren.

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Beitrag von Leser So Jan 08, 2017 12:30 pm

Aus dem anderen Beitrag geht die Folgerung, die für diese Diskussion hier interessant ist hervor, dass der Mensch anfängt durch seine plötzliche Wandlung zum schöpferischen Raubtiere und aufhört dieses zu sein durch Rückfall in einen vielleicht viel älteren und gründlicher angelegten Habitus, den die Mutation vielleicht in einer ganz interessanten und tragischen Weise vorläufig besetzt hatte aber letztlich der primitive Anteil der Physiognomik natürlicherweise obsiegt. Die Auflehnung gegen die Natur durch die denkende Hand beginnt nämlich dann ihre ersten Schrittchen in der erfinderischen Bearbeitung des Menschen durch den Menschen. Anfangs eher das erfinderische Unterwerfen, das Zusammmenschließen und Organisieren nach innen und gleichzeitig die werkzeugerfindende Unterwerfung nach außen. Man dürfte an jedem verworfenen Stück, das Spengler anführt, schließen, dass auch die anfänglichen Schrittchen der größeren Organisarion ebenso verworfen, neu begonnen wurden etc. Trial and error. Das Werkzeug ist immer ein Indikator für die Mächtigkeit der Subjektivität.

Jene Auflehnung gegen den uralten Habitus in sich selbst ist leider für Spengler gleichgesetzt mit der allgmeinen Auflehnung des Empörer gegen die Natur überhaupt. Seltsam genug, da die Mutation doch natürlicherweise kommt. Spengler bemerkt daher doch richtig, niemand wolle den Originellen spielen und die Gattungstätigkeit sei noch zu mächtig anfangs, weshalb die primitiven Vorgänger überall auf der Welt ähnliche Erzeugnisse hinterließen. Das ist zum Teil wahr. Die Werkzeuge entstanden schon, als von der regionalen Verteilung nach innen und der allgemeinen Verteilung über die Kontinente noch gar nicht die Rede sein komnte. Man nahm diese Technik mit, hätte ohne sie gar nicht auf Wanderschaft gehen können.Die innere Bildung und die Ausbildung der ersten Werkzeuge war aber auch langer Zwang, "Sittlichkeit der Sitte", denn die pure Hand (ohne Werkzeug) muss der Differenzierung Hand-Werkzeug vorangehen. Die Hand für sich hat ebenso eine Geschichte und die Gewalttat der Sitte ist eine hartnäckig-beständig lange Geschichte der Gewalthand. Auch des Fußes und des Kopfes und was sich eben anbot... Und was sich eben anbot! ...

Was sich anbot, war nicht "bewusst" sondern eher eine Art Archaik der ingenen Entscheidung.

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