Geschichtsphilosophie
Würden Sie gerne auf diese Nachricht reagieren? Erstellen Sie einen Account in wenigen Klicks oder loggen Sie sich ein, um fortzufahren.

System und Umgebung - Kultur und Ingenium

2 verfasser

Seite 1 von 2 1, 2  Weiter

Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Do Jan 05, 2017 5:32 pm

Voran die transzendentalphilosophische Abgrenzung der Kybernetik von der bloßen Maschinentheorie durch den vermutlich letzten echten Metaphysiker des Abendandes: Gotthard Günther.

Transzendentalphilosophische Grundlagen der Kybernetik  
-- Teil 1 --
-- Teil 2 --

"Für den Kybernetiker nämlich ist der Urwert weder die reine Spiritualität noch die primordiale Materialität, sondern die lebendige ewig wechselnde Relation zwischen System und Umgebung. Der jeweilige Ort des Organisationszentrums, das System und Umgebung zusammenhält, ist für ihn der Ursprung aller historischen Wertsetzungen." (Teil 2, 12:45)

In diesem Zitat prallen schon die Motive aus UdA und KuI aufeinander. Einerseits liegt der Akzent auf dem Spenglerschen Terminus der regionalen Hochkulturen als wirklich werdende, seiende und verbrauchte Ichheit ("Urseelen") in ihrer morphologischen Gestalt relational zur lokalen Naturumgebung und gleichzeitig eine Umformulierung des Changierens selbst innerhalb der Hochkultur, wie es sich in den Begriffen von Kultur und Ingenium zeigt In diesem Zitat bildet sich sozusagen mit dem Oberbegriff Urwert ein gedoppeltes Prinzip, welches je in betrachteter fraktaler
Dimension sich selbst in der Erscheinung verschiedenartig interpretiert.

Wen eine kulturhistorische Arbeit Günthers zu den amerikanischen Kontinenten und eine tiefe geschichtsmetaphysische Auseinandersetzung mit Spengler zum Fortlauf der Geschichte interessiert, dem sei noch folgendes unveröffentlichte Werk aus dem Nachlass empfohlen.
http://userpage.fu-berlin.de/~gerbrehm/GG_Amerika.pdf

Hauptthesen aus Mappe A:
- Wieso wurde Amerika so "spät" entdeckt? Wieso wollte man Amerika nicht entdecken?
- Die mexikanische Urbesiedlung war keine regionale Hochkultur, sondern eine im Abfall begriffene bis zur äußersten Konsequenz gesteigerte "Steinzeit"
- Der amerikanische Kontinent ist grundsätzlich ungeeignet zur Etablierung einer regionalen Hochkultur
- Frontiermentalität der westlichen Übersiedler und geistige Abtrennung von der Mutterkultur. (Kolumbus' Streitgespräch mit den Dominikanern)
- Frontier: "Man faßt vielmehr die Kernlandschaft ... als ausdehnungsfähig auf. Und zwar als prinzipiell unbegrenzt ausdehnungsfähig, denn das Verschieben aller Grenzen findet erst ein Ende, als man den Pazifik erreicht hatte... Sie vernichtet auch die Idee der konstanten Qualität der Mutterlandschaft".Vorspiel der überregionalen Subjektivität?
- Frontiermentalität als Vorspiel einer planerarischen Seelenverfassung und damit das dritte Zeitalter der menschlichen Weltgeschichte (zu welcher Realisierung es vermutlich noch sehr lange dauern könnte. Die seelischen Voraussetzungen dazu beginnen erst in Mappe B Gegenstand der Untersuchung zu werden)
- Wahrscheinlichkeitsrechnung und das Kausalitätsprinzip als äußerster Spezialfall der primitiv-rationalen Serienidee aller magischen Naturvölker
- Neuinterpretation der Begriffe Freiheit und Notwendigkeit anhand der Serienidee im Wahrscheinlichkeitskalkül = Äquivalentrelation von Freiheit und Notwendigkeit. Die paradoxe Situation, dass bei Oszillation zwischen zwei Grundwerten proportional zur Annährung der Standartverteilung 1/2 oder 50% die Wahrscheinlich zu einer Werteserie zunimmt, obwohl sie für sich genommen extrem unwahrscheinlich ist. Übersetzung dieses Phänomens auf das Changieren von System und Umgebung. ("Urwert")
- Gibt es eine Rationalität, die dem Kausalitätsprinzip (definiert als Serie mit einem Minimum an Freiheitsgraden) diametral aber nicht weniger rational, sondern dem Lebendigen inhärent ist? Vorläufige Antwort: Ja, mindestens eine Serie mit maximalen Freiheitsgraden!

Dies eine vorläufige und notizenhafte Feststellung eines Textes, dem ich mich erst seit etwa zwei Tagen widme. Aber das Gefühl einer unbeschreiblichen Nähe von KuI zu Günthers Metaphysik schlummerte gewiss schon länger in mir.

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim Do Jan 05, 2017 10:59 pm

So langsam beginne ich zu verstehen, wo Sie die Ähnlichkeit zwischen Kybernetik und historischen Changieren sehen.

Das obere Zitat ist nicht sehr konkret, aber ich darf annehmen, daß jenes Changieren zwischen System und Umgebung, das man als Changieren zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit, also Kultur und Natur verstehen könnte, und damit eine deutliche Äquivalenz zu KuI aufwiese, nicht der Urwert, also das Axiom, dieser Kyberntik ist, sondern, wie es wörtlich heißt: die "Relation zwischen System und Umgebung".

Und das ist nun etwas anderes. Gemeint scheint mir das Verhältnis zwischen Maschine und Natur, also Umgebungseinflüssen - genau davon lebt ja die Kybernetik, daß die Natur, die Umgebungsbedinungen zur Steuerung der Maschine beitragen, also das Ergebis der Arbeit der Maschine in der Umgebung wiederum zum Input der Maschinenkonfiguration werden.

Es changiert also - wenn ich das richtig verstehe; und das wäre klassische Kybernetik ist besten Sinne formuliert - die Art und Weise wie die Umgebung die Maschine beeinflußt und umgekehrt. Jetzt haben Sie (oder ist es der Günther) das Ganze auf die Weltgeschichte übertragen, was natürlich ausgesprochen interessant ist. Nun heißt das Ganze: es gibt eine Natur, diese wird von der Kultur beeinflußt und rückwirkend beeinflußt die Natur wieder die Entwicklung der Kultur. Oder noch abstrakter: Die Natur erleidet Gewalt von der Kultur. Jene Natur aber schlägt auch zurück, sodaß die Kultur von ihr Gewalt erleidet. Sie stoßen sich gegenseitig an.

Das ist ein unzweifelhaft interessanter Ausgangspunkt gerade für alle Gedanken, die sich um die ganz großen Bewegungen der Geschichte, um die Frage, wie etwa eine Kultur von der Natur niedergerungen wird (also die gesamte Verfallsgeschichte). Und sicher läßt sich dasselbe fraktal herunterbrechen, obgleich ich das freilich nicht ohne weiteres überblicke.

Haben Sie zunächst vielen Dank für diesen Einblick, der mich überhaupt erst einmal verstehen läßt, was hier gemeint ist - sofern (Sie mögen mich berichtigen) ich recht verstanden habe.

Dennoch gibt es einen abschließenden Wermutstropfen. Denn erstens werden die Zustände Natur und Kultur bereits vorausgesetzt, und zwar als hochkomplexe Interaktionsmodule. Und zweitens - oder damit eng verbunden - erklärt dergleichen eben nur die Beziehung zwischen beiden, ihre Relation. Das liegt daran, daß es sich um eine Maschinentheorie handelt. Die Maschine muß bereits vorhanden sein, um ihr Verhältnis zur Natur zu bestimmen. Über die Entwicklung dieser Dinge selbst ist eigentlich nichts gesagt. Denn die Maschine muß entworfen werden. Nur die Natur wird beliebig durch diese Maschine verändert, aber die Maschine Kultur, die der Kybernetiker betrachtet, interagiert nur zu einem Teil, nämlich über die Schnittstellen der Meß-Sensor-Aktor-Technik. Die Natur kann aber innerhalb dieser kybernetischen Betrachtungsweise die Kultur, die Maschine nicht als Ganzes überwinden. Sie könnte als laufende Maschine zum Stillstand gebracht werden. Die Materialität aber bleibt bestehen. Man müßte dann eher diesen Austausch zwischen Natur und "Maschine" (hier als abstraktes, metaphysisches, nichtmaterielles Gebilde) als dasjenige Verstehen, was wir Kultur nennen. Aber was ist dann dieses abstrakt-metaphysische Dritte - Gott?

Also, Sie sehen, man kommt dann vom Hundertsten ins Tausendste. Ich sage nicht, daß es unmöglich ist, aber eine ganz schöne Achterbahnfahrt.

So viel erst einmal bevor ich mich verliere, obwohl vielleicht meine Grundannahmen fehlgehen.

Gleich aber noch etwas zu Amerika.

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim Do Jan 05, 2017 11:20 pm

Eine witzige bis gemeine Frage, warum Amerika so "spät" entdeckt worden sei. Wenn man sich einmal klar macht, was im 15. Jh. technisch (u.dgl.m.) zur Verfügung stand, würde ich sagen, war die Entdeckung Amerikas ein ziemlich gewagtes Unterfangen, das auch Spitz auf Knopf hätte schiefgehen können. Aber die Frage ist sicherlich nicht zentral.

Der Gedanke der mexikanischen Kultur als bis ins Äußerste gesteigerte Steinzeit finde ich interessant, gehört aber in die alte Kategorie: Stufentheorien. Breysig gibt an, daß all diese Pyramidenkulturen einer Stufe angehören und daß folglich die mesoamerikanischen Kulturen, vor deren Untergang Spengler ja allen Ernstes die Tränen kommen wollen, eben zu dieser ersten Kulturstufe gehören.

Die Frontiermentalität ist ein auch immer wieder hervorgezogenes Element amerikanischer Kultur. Ich habe vor, einiges im "Zeitalter der kämpfenden Staaten" zu sagen, wo es um die Frage der Grundlagen von Kultur, nämlich Landschaft und Klima, gehen wird. Der ungeheure Raum, der in Amerika durch die bald grenzenlose Landmasse zur Verfügung steht, beeinflußt die Kultur aber eben nciht nur durch ihre Eroberung und jenen Frontier-Gedanken, sondern wirkt auch im Falle der vollständigen "Eroberung" auf die Seele der Menschen und formt sie in bestimmter Weise. Aber ich möchte nicht vorgreifen.

Den Schluß verstehe ich nicht. Sind die verwendeten Begriffe in ihrem mathematischen Sinne gemeint? Das ergibt für mich keinen Sinn. Oder was meint er mit "Serie"?

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim Do Jan 05, 2017 11:28 pm

Habe gerade ein wenig hineingelesen und es liest sich noch witziger als ich vermutete. Aber natürlich hat er recht, daß man es auch im gewissen Sinne verdrängte. Es gibt eben Zeitalter der inneren Beschäftigung und der Veräußerlichung. Und in der Gotik hatte Europa mit sich selbst genug zu tun, hat sich innerlich ausgebreitet, wie man sagen könnte, innere Kontinente erschlossen. Als diese erobert waren, schnaufte man erschöpft durch und war froh, nun statt des Hirnmuskels, einmal den Bizeps anspannen zu dürfen und etwas Stimmung durch Blutgeruch in die langweilige Gothic-Party einzuimpfen.

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Fr Jan 06, 2017 12:06 am

Zu Ihrem letzten Beitrag:
Damit haben Sie exakt den Gedanken aufgegriffen, den ich versucht hatte in der Analogie von Kultur und System sowie Ingenium und Umgebung anzudeuten. Um die Gegensatzbegriffe, die Sie am Ende der aufklappbaren Tafeln geben hinzuziehen also: Frieden zu Krieg, Sein zu Werden, Ruhe zu Bewegung und Zeitlosigkeit zu Raumerfahrung.

Zum Zweiten:
Sie werden in Günthers Mappe A und auch B sehr reiche Aufarbeitung des amerikanischen Raumgedankens finden. Der Autor hat es selbst noch nicht ausgesprochen, jedoch drängt alles zur Schlussfolgerung, dass der amerikanische Architekturstil pseudomorphologisch aufzufassen ist. Der Autor exemplifiziert das am Mentalitätsgefälle zwischen Ost- und Westküste. Die Tatsache, dass die seelische Vereinzelung sich noch mühsam als Gesamtprozess gegen den Imperativ der Weltstadt versucht durchzusetzen und viele andere Anzeichen, dort eine Raumorganisation zu analysieren, die der augenscheinigen Gedrängheit der großen Metropolen im Widerstreit liegt. Zu seiner Zeit fasste Los Angeles ca. 50 Quadratkilometer mehr Raum als New York, verteilte auf dem Areal aber nur einen Drittel der Bevölkerung New Yorks.

Zur Entdeckung liefert Günther mindestens eine 30-seitige Analyse mit Abschweifungen und wiederkehrenden Verweisen und stellt die These der zentripedalen Ausrichtung aller regionalen Hochkulturen der östlichen Hemisphäre zueinander in ihren religiösen Texten und der nun zentrifugalen Ausrichtung einer kommenden planetarischen Kultur entgegen. Der Raum erfährt in seiner Auslegung, mehr dazu in Mappe B, eine metaphysische Analyse.

Mit Verweis auf Spengler, der sagt, dass die faustischen Seele den unendlichen Raum versuchte zu erschließen aber daran im Grunde substantiell scheiterte. Für Günther ist das wiederum begründet in der unumgänglichen Tatsache der ohnehin regionalen Gebundenheit des menschlichen Bewusstseins bei allen jenen Hochkulturen (Ägypten, Babylon, China, Indien, Antike und Abendland) - der Ausschluss Mesoamerikas aus dem Kreis der Hochkulturen ist also in dieser Geschichtsmetaphysik systematisch bedingt. Über Spenglers Verhältnis zu jenen zufälligen Banditen, die eine werdende Hochkultur vernichteten, dieser historischen Absurdität, nimmt Günther ebenso Stellung. Anhand der Waffentechnologie exemplifiziert er jene Steinzeit-These sowie am vergeblichen Versuch einer einheitlichen transzendentalen Religion (d.h. den Unwillen die magische Serienidee durch Askese auf ein Kausalitätsdenken mit wenigen Freiheitsgraden zu beschränken. Mehr dazu sollten Sie lieber selbst lesen, wenn ich annehmen darf Ihr Interesse doch noch geweckt zu haben. Er erklärt das einfach durchgängier und immer mit Verweis auf das Haupthema Amerika!)

Zur Kybernetik werde ich gleich noch etwas schreiben.


Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Fr Jan 06, 2017 12:45 am

Das Zitat ist tatsächlich überhaupt nicht konkret und ohne den verlinkten Beitrag wohl nicht nachzuvollziehen. Dort wird die deutsche Transzendentalphilosophie in ihrem theoretischen Problemniveau an das praktische Denken amerikanischer Ingeneure exemplifiziert und eine Gelegenheit gesehen den Bereich, der von jenen Geistern übersehen wurde, mit praktischen Anwendungen und formalisierbaren Methoden zur funktionalen Realisierung zu bringen. Die Fragestellung hierbei: wie führt ein mentales Bild, eine Idee zu einer physischen Handlung. Lässt sich die Anschauung, jener Begriff, der in KuI auch so eine zentrale Rolle spielt (!), möglicherweise mit den neugewonnenen Maschinentypus darstellen und könnte der Einblick in diesen Geschehen - durch Erschaffung jener Denkprothesen -, zu völlig neuen Anschauungsformen des schöpferischen Geistes verhelfen? Günther nimmt in seiner ganzen metaphysichen Denkarbeit stets den absoluten Gegenpol zu Spenglers These der Auflehnung des Artefakt gegen den Konstrukteur ein. Freilich auch ein Gedanke des kybernetischen Technikers. Günther nennt es die Differenz zwischen Ich-Zentrum und Ich-Funktion. Mensch und Maschine. Natur und festgehaltene Teilfunktion dieser Natur - sofern der Ausgangspunkt gilt, und daran sollte kein Zweifel mehr bestehen, dass Materie in komplexer Strukturierung so etwas wie Selbstbezug, jedes Lebewesen also, aufweisen kann. Der Streitpunkt zwischen Materialismus und Idealismus fällt in jenem obigen Zitat weg. Er spielt keine Rolle mehr, denn die Frage war schlicht falsch gestellt. Materie oder Geist, welches auf sich selbst verweist ist beides im Moment des Selbstbezugs. Die Wertigkeit dieses Selbstbezugs, d.h. die Komplexität der Selbstbewusstsein hängt von der Komplexität von System und Umwelt ab, zwischen denen "Es" sich ins Verhältnis setzt und bespiegelt.

Ihre kritische Beleuchtung ist völlig richtig und trifft den Nagel auf den Kopf! Genau dieser Austausch - besser das Austauschniveau -, ist der Index für die Art und Weise, um was für eine Art Bewusstsein es sich handelt. Daher auch die völlige Unbegründetheit der angeblichen Knechtung des Kreators von seinem Geschöpf, der Maschine, wie Spengler es in MuT darstellt. Es ist schlicht unmöglich. Die Natur im Menschen kann nicht durch die ausgeschiedene Technologie überrumpelt werden. Mit Ihrer letzten Frage, was dieses Dritte wäre, sind Sie tief in Günthers Metaphysik hineingerutscht!

Dieses Dritte ist die ungeschriebene Erfahrung, das stumme Erkenntnis, die offene Stelle, das nicht näher ausgeführte meiner Parabel. Alles, was nach den Schriftzeichen folgt und was allen Zeichen vorausgeht. Das schlummernde Quellen vor der Selbsterfahrung. Kybernetisch betrachtet ist jeder Impuls, jeder Austausch für sich ein Anfang, eine Schöpfung. Überall, wo Materie das Phänomen des Selbstbezugs aufweist, könnte man also von einem kleinen Schöpfer sprechen. Ich glaube, Günther hat das in einem Aufsatz einmal erwähnt. Man müsste ein abstraktes Drittes annehmen, universal betrachtet, aber nur als Arbeitshypothese. Es reicht der Nachweis, dass es viele lokale Areale im Universum gibt, wo so etwas wie Selbstbezüglichkeit da ist. Also ganz in Hegels Duktus: im Absoluten ist es völlig gleich ob das Sein Geist ist oder der Geist das Sein ist. Da Hegel dort missverstanden wurde, durch die Beschränktheit der regionalen Hochkultur gewissermaßen, zerfiel die Erkenntnis in den linken und rechten Flügel. Allerdings bietet die kybernetische Interpretation der selbstbezüglichen Materie eben einen praktischen Bezug auf die prinzipielle Insuffizienz auf diese absolute Zweiwertigkeit, d.h. dem Denkzwange sich für die dialektisch materialistische oder idealistische Interpretation festzulegen. An dieser Stelle wurde Günther Logiker einer transklasssichen Logik!


Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim Fr Jan 06, 2017 10:34 am

Zunächst einmal bin ich froh, daß wir uns nunmehr in gemeinsamem Verständnis bewegen. Zwei Gedanken dazu:

Meine Reserviertheit gegenüber Günther ist eine Reserviertheit gegenüber der Metaphysik. Denn in diesem Sinne bin ich gar kein philosophischer Kopf. Die Phänomenologie des Geistes ist für mich unlesbar. Und auch an Spengler haben mich die schwammigen, unbestimmt begriffstriefenden Abschnitte gar nicht gefangen. Ich hänge eher dem physikalisch-mathematischen Denken an. Also dem konkreten Aufschlüsseln von Vorgängen. Das ganze in Begriffe zu kleiden, hat für mich eine ganz nachrangige Bedeutung und sollte in den klarsten Formen geschehen - was übrigens ein wenig Dichtung nicht ausschließt.

Damit hängt zusammen, was ich an einem solchen System, wie ich es nach Ihrer Bestätigung wohl recht gut erraten habe, zu bemängeln mich gezwungen sehe. Zunächst einmal jenes Dritte. Da ich logisch-mathematisch denke, so kommt mir das wie ein Rückschritt in die Hegelei vor. Denn axiomatisch gesehen kann man über einen dritten Begriff, der nicht unmittelbar durch etwas Greifbares belegt ist, ein Phantomaxiom gewissermaßen, gar nicht erfreut sein.

Ich verstehe den Hang des Metaphysikers vielleicht erst hier zur Hochform aufzulaufen - und wohl meinen Sie das, wenn Sie sagen: der letzte Metaphyiker des Abendlandes. Für mich stellt es einen Rückschlag dar. Zumal dieses Dritte als Abfall anfällt und keineswegs inhärent notwendig erscheint - es springt als Problem ins Bild, das im Grunde eine Abbildung jenes ziemlich unaxiomatischen Gedankens ist, die Maschine, also ein hochkomplexes, erst zu erschaffendes Gebilde, als Grundform einer Theorie anzunehmen, als Axiom.

Aber nochmals zur Verbindung zwischen Umgebung und Maschine, Natur und Kultur. Auch hier zeigt sich die - ich erlaube mir es einmal so zu nennen - metaphysische, das heißt die im Konkreten offenbarte Unschärfe der Theorie. Denn

1. Ob es sich beim Rückkopplungsaustausch um jene Kultur oder nur um das eigentlich bewegende Element in der Theorie handelt, es ist jedenfalls völlig unbestimmt. Es hängt ja von der Sensor-Aktor-Technik ab. D.h. um ein bloßes Changieren kann es sich nicht handeln, wenngleich ein solches kybernetisches System natürlich in eine Schwingung kommen kann und dies gar den eigentlichen Arbeitspunkt (wie den Arbeitspunkt eines Motors oder den Arbeitspunkt einer chemischen Fabrikanlage) bezeichnen möge. Zwar ist dieser Austausch begrenzt, da die Maschine nicht beliebige Zustände annhemen kann, aber nicht auf einen Punkt. Die Art des Changierens hängt von der Reaktion der Maschine, also der Meß-Sensor-Aktor-Technik, auf die Umgebungsbedingungen ab. Geschichtsphilosophisch gesprochen: Die Wechselwirkung zwischen Natur und Kultur hängt von der Betrachtungs- und Reaktionsweise der Kultur auf die Natur ab. Beispielsweise: Wie reagiert eine Kultur auf Naturkatastrophen: gibt sie auf, trotz sie noch? Oder Erntesegen: wird sie faul, breitet sie sich aus?

2. Dieser Austausch aber ist in diesem System nicht bezeichnet, d.h. er muß außerhalb der Theorie bestimmt werden. In KuI ist das ganz simpel, es ist ein hin- und herchangieren einer natürlichen Schwingung im Sinne einer Winkelfunktion (klassischer Sinus). Die Zustände zwischen denen changiert wird, sind auch bestimmt, wenngleich natürlich dergleichen im Geschichstphilosophischen nicht mit mathematischer Exaktheit geschehen kann. Die Randbedingungen sind also vollständig gegeben. Das System ist vollständig bestimmt, wie der Statiker sagen würde, eindeutig, wie der Mathematiker es nennt. So, wie man das von einer klaren Theorie - zumindest ich tue das - erwartet. Erst die Fraktalität macht es kompliziert genug und schließlich unbeherrschbar - und selbst das ist mathematisch an Randwerten beherrschbar. Aber das muß uns angesichts der Komplexität der Realität auch nicht sonderlich wundern.
Wie sieht es aber hier aus? Die Maschine, das Künstliche, d.h. die Kultur, ist gesetzt. Die Austauschfunktion, die da kybernetisch oder geschichtsphilosophisch vor sich geht, ist und kann keine Theorie der Geschichte sein, da Sie von der betrachteten Kultur abhängt. Es ist eine Theorie der konkreten Kultur, wenngleich sie in allen Kulturen mit anderen Umgebungsbedingungen und Sensor-Aktor-Technik wieder angewandt werden kann. Kulturübergreifend ist sie nur in diesem Sinne, daß überhaupt Austausch im kybernetischen Sinne stattfindet. Die Kybernetik als Fach wäre es. Doch dann müßte diese Theorie selbst, also das System des gegenseitigen Beeinflussens die gesuchte Kulturtheorie sein, nicht der konkrete Austausch im Meß-Sensor-Aktor-System. Und dieses Problem erklärt sich auch schnell: Die Kybernetik ist ein Anwendungtheorem der Technik. Und die Technik entwickelt keine allgemeingültigen Theorien, wie die Physik, sondern konkrete Anwendungsverfahren und Anwendungstheorien. Anwendungstheorien setzen aber voraus, worauf man sie anwenden will. Eine technische Methode, wie die Kybernetik erklärt das Funktionieren von Dingen, nicht die Dinge selbst. Es ist ein praktisches Vehikel. Daher ergeben sich jene benannten Unstimmigkeiten in den Betrachtungsebenen, braucht man dritte Größen, die dem ganzen absolute Eichung geben.

Ganz nebenbei sehen Sie auch an der bereits vorauszusetzenden Art und Wirkungsweise (Sensor-Aktor) der Maschine Kultur, daß wir nun wieder in jenem Problem feststecken, das Spengler ebenfalls hatte: Wir müssen die Kulturen jede einzeln für sich definieren, als Einzelphänomene, unerklärbar, wie ein Mikroprozessor für den Laien ein unerklärliches Hexenwerk ist. Das ist im Grunde - man mag das metaphysisch nennen - eine Unterwerfung unter die Komplexität des zu Beschreibenden sondergleichen. Wir wollen doch hineinschauen und genau wissen, wie es dazu kommt, zu diesem Hexenwerk. Ich will nicht sagen, daß KuI das zweifellos korrekt tut, aber die Theorie wenigstens ist exakt so angelegt, daß die Kulturen erst erklärt werden, und zwar aus tieferen, einfacheren Begriffen.

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Fr Jan 06, 2017 3:13 pm

Ihre Einwände und Bedenken sind völlig berechtigt, soweit ich das überschauen konnte. Auf dem Boden des machinalen Regelkreises lässt sich nichts hinausweisendes finden - definitionsgemäß sind dort also Sensor-Aktor konstruiert auf einen ganz kleinen Realitätsauschnitt, der durch die Wiederholung festgehalten wird.

Ich habe gewissermaßen den Kulturbegriff im Gespann "Kultur und Ingenium" eben immer als solchen Regelkreis empfunden. Während "Ingenium" in seiner allgemeinsten Erscheinung gar keinen wirklichen Zustand beschreibt, sondern den Wechsel, eben jenes "Dritte" markiert. In jenem "Werden" liegt mehr Metaphysik, als Ihnen vielleicht bewusst sein mag!

Lassen Sie es mich so ausdrücken: Was Günther versucht zu entwickeln, ist eine Handlungslogik. Eine Logik, um das schöpferische "Aus-dem-Nichts-treten" zu beschreiben. D.h. erste Schritte zu einem Formalismus bieten, die strukturelle Eigenschaften der spontanten Wahlfreiheit realisiert. Damit stellt er sich selbstverständlich nicht nur gegen Spengler, sondern auch gegen Ihre Vermengung von Ingenium und Schicksal. Wo ich das gerade schreibe, fällt mir auf, dass man insofern - sollte meine machinale Auffassung Ihres Kulturbegriffes stimmen - das Kulturmoment als "Fügung" interpretieren könnte. Das aber nur nebenbei, um den Schicksalsbegriff tiefer in den beiden Allgemeinzuständen zu verankern.

Man müsste einmal tiefer in Günthers Formalismus des prinzipiell unendlich ausweitbaren Negationsoperators eindringen (er funktioniert heterarchisch und hierarchisch zugleich) um zu prüfen, ob er den Lebenstakt bereits hat in seine Überlegungen einfließen lassen. Es ist nämlich eine von vielen großen Entdeckungen, wenn Sie mich fragen, dass Sie die Fraktalität eben rhythmisch-bewegt anhand des geschichtlichen Materials exemplifizieren konnten. Eine Ungeheuerlichkeit sogar. Ich kann mir nicht helfen, je länger ich darüber grübele, desto bestimmer bin ich davon überzeugt, dass hier große fruchtbare Überschneidungen vorliegen. Es wird wohl Gründe gehabt haben, dass Günthers Geschichtswerk unveröffentlicht blieb.

http://www.vordenker.de/ggphilosophy/gg_janusgesicht.pdf Hier wird ab einem vierwertigen Kalkül eine Art Spontanität oder Freiheit dargestellt, das heißt die selbstgezügliche Wahl des zu negierenden Wertes. Das ist quasi die rudimentärste Annäherung an so etwas wie "Selbstbewusstsein". Entscheidungen werden also erstmalig völlig unredundant als Funktionsleistungen beschrieben. Der metaphysische Hintergrund bleibt bestehen als "Arbeitshypothese", dass sobald man über Etwas spricht, man selbst sich als Lebewesen auf einer höheren Bewusstseinsstufe bereits notwendig befinden muss. Denn dieses entschiedene Sprechen ist wieder ein Bruchteil dieser untergründigen Struktureigenschaft der Materie zu reflektieren, d.h. spontanen Entscheidungsschöpfung, die, wenn sie eine Methode des Denkens bildet, einen Teil dessen in der Realität abgebildet hat - als jene Wiederholungsfunktion. Aber "metaphysisch" ist hier eigentlich ein verbrauchter und abwertender Begriff. Er ist eben nicht metaphysisch sondern einfach das noch nicht erschlossene Triebrad der einzelnen ingenen Tat, der großen ingenen Geschichtstatsache des Werdens. Jener "metaphysische" Untergrund lässt sich auch - wenn man will - profaner und chiffrierter ausdrücken, vielleicht dann auch überzeugender: die prinzipielle Nichtidentität zwischen Konstrukteur und Artefekt. Obwohl Figuren wie Stephen Hawking mittlerweile die populäre Angst vor K.I. etc. anheizen ...





Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Fr Jan 06, 2017 3:24 pm

Ich möchte nachtragen: Die Vermengung von Ingenium und Schicksal ist gerade das bisher dunkel verschlossene aber prinzipiell die richtige Vermengung. Das, was mit Schicksal in KuI angedeutet wird. Jener komplexe Rhythmus also. Ist es das, was Sie über Engels meinten? Dass er ebenso einen dritten Begriff sucht, der Kultur und X als Zustände auseinanderhält und die Vermittlung als Ingenium begreift. ohne das man ausversehen Ingenium als Zustand mit dem der Bewegung selbst vermischt?

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Fr Jan 06, 2017 3:54 pm

Da haben Sie mich übrigens an eine witzige Geschichte erinnert. Es war wohl 2015, da gastierte ich in einem sehr intensiven Hegel-Seminar. Ein ganzes Semester lasen wir mit dem Professor gemeinsam Satz für Satz das Herr-und Knechtschaft Kapitel aus PdG. Das sind ja höchstens 10 oder 15 Druckseiten! Seltsam genug hatte ich einen intuitiven Zugang zu diesem Text. Irgendetwas "aktivierte" es in mir. Immer und immer wieder zog ich bestimmte Passagen zuhause hervor und mit jedem neuen Anlauf überschlugen sich die Vorstellungsbilder.
Andererseits breitet sich auch ein ziemlich esoterisches Klausurgefühl aus, wenn einmal die Augen bis zur fantastischen Verzweiflung in dieser Buchstabenornamentik versanken. Da ich dem mathematischen Formalismus weniger nahe stehe, war diese Erfahrung die beste Annäherung, die ich Ihrer Bemerkung zur Zeichenornamentik in KuI entnehmen konnte. Ich möchte behaupten, damit bin ich sogar dieser Zeichenesoterik näher gerückt, als so mancher Mathematiker es für seinen Fachbereich zugeben mag.

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim Sa Jan 07, 2017 9:58 am

Erlauben Sie mir zunächst einen Gedanken zu erwähnen, der mir bereits gestern morgen auf meinem Spatziergang kam, den ich unmittelbar an meinen Beitrag anschloß - er darf also also dazugehörig betrachtet werden:

Im Grunde bin ich gar nicht in der Lage den kybernetischen Ansatz von demjenigen Arnold Toynbees zu unterscheiden. Der spricht ja auch von Herausforderungen, welche die Natur stellt, und Antworten, die dann verschiedene Kulturen darauf geben. Da wäre selbst die Konstruktion der Maschine beinhaltet. An diesem Ansatz habe ich so etwa dasselbe auszusetzen. Falls Ihre Bibliothek dergleichen vorhält, können Sie das in einem mit Ironie gepflasterten Aufsatz - also, wie ich glaube, recht unterhaltsam - nachlesen:

"Der verschlafene Frimaire des Arnold Toynbee" in "Von Platon bis Fukuyama - Biologistische und zyklische Konzepte in der Geschichtsphilosophie der Antike und des Abendlandes", David Engels (Hg.)

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim Sa Jan 07, 2017 10:26 am

Also gegen die Interpretation von "Kultur" und "Ingenium" als in obiger Weise nur Teile dieser Begriffe, also Entitäten, umfassendes Changieren möchte ich in erster Näherung völlig von mir weisen. Denn ich habe an keiner Stelle Teilmengen derselben proklamiert. Einzig, was ich verstehen könnte, wäre ein solcher Eindruck durch die Einführung der Fraktalität, die selbstverständlich verschieden starke Ausprägungen den Changierens möglich/nötig macht. In den Einzelschwingungen aber, gewissermaßen Fourieranalytisch zerlegt, sind es immer vollständige Schwingungen, d.h. vollständiger Austausch nicht irgendwelcher Austauschstoffe (Gluonen gewissermaßen), sondern sich selbst wandelnd. Das heißt, es gibt kein immerwährendes, unterliegendes Sein in dieser Betrachtungsweise (die man freilich bestreiten kann und oft bestritten hat).

Sicher ist das ein nicht ganz ohne Knoten im Kopf abgehender Gedankengang, daß Werden und Sein ineinander übergehen. Denn man glaubt intuitiv - Sie beschreiben das mit: "mehr Metaphysik" als mir bewußt sein mag - daß Werden einen höherstelligen Charakter habe als Sein. Aber gerade diese Wertung war mir wichtig zu zerstreuen. Ich verstehe Ihre Bedenken in diesem Denkungsakt. Aber bitte unterschlagen Sie nicht, daß der statische Zustand der "Kultur" nicht Ruhe heißt. Darum geht es nicht. Die Menschen arbeiten jeden Tag in der gleichen Weise für ihr Dach und Brot, sie betreiben Handwerke und Schriftstellerei, sie erfinden sogar neue Geräte, neue Theorien für ihre Wissenschaften. Die Kulturen haben ihre Architektur, ihre Philosophie, ihre Malerei. Diese sind aber von einem anderen Charakter als die der Zeiten des Ingeniums. Sie sind erhaltender, befestigend, Schaffen in Tradition, Logik, nach Anstand und Herkommen.

Insofern will ich gern zugeben, daß die Kolportation des Ingeniums als Werden unglücklicher Natur ist. die Kultur wird auch. Aber eben nicht im revolutionären Sinne. Daß es insbesondere im Schlußkapitel auf diese Hegelschen Grundbegriffe heruntergebrochen ist, bedeutet natürlich eine starke Abstraktion. Ich halte sie für gerechtfertigt. Denn das absolute Sein und das absolute Werden trifft man freilich in der Welt(geschichte) nicht an, auch nichtt zu Pferde. Das weiß Hegel ebenfalls. Aber Theorien arbeiten mit idealisierten Begriffen.

Wenn Sie also diese Unschärfe meinten, indem Sie an Teilmengen dachten, die da zum Austausch kommen, so ist das in der Ableitung theoretischer Begriffe auf die Realität eigentlich immer der Fall, selbst in physikalischen Meßreihen, um wie viel stärker in so lebensweltlichen Fragen wie der Geschichte.

Das "Aus-dem-Nichts-Treten", das Sie Günther zuschreiben, ist aber exakt das, was ich ihm abspreche. Er muß seine Maschine (Kultur) erst einmal erklären. Das leistet die Theorie nicht. Und vielleicht kann er es gut erklären, vielleicht besser als Spengler (was aus Mangel an Versuchen bei Spengler möglich wäre). Aber das hat nur insofern mit seiner Theorie zu tun, als es die Definition seiner Axiome wäre.

Was ich nun gänzlich nicht verstehe ist, wie Sie darauf kommen, daß ich von Schicksal reden würde. Vielleicht kenne ich ja mein Buch schon nicht mehr, aber ich würde fast zweifeln, ob der Begriff überhaupt vorkommt.

Vielleicht wollen Sie mir die Stelle über den Negationsoperator nennen, dann versuche ich zu verstehen, was er da meint. Oder handelt es sich um die von Ihnen angegebene pdf? Ich will durchaus eine Überschneidung gar nicht ausschließen.

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim Sa Jan 07, 2017 10:41 am

Ich weiß von der Konzeption Engels' eigentlich nur, was ich vor zwei oder drei Jahren in seinem Vortrag während der Spenglertagung hörte. Das ist schon eine Weile her und wir hatten damals leider keine Gelegenheit, die Sache tiefer zu diskutieren, da er früher abreisen mußte. Er arbeitet aber daran, wie er mir erst kürzlich schrieb, sodaß die konkrete Ausformulierung hoffentlich noch sichtbar werden wird. Jedenfalls kam es mir so vor, als sei der als dreiwertig formulierte Ansatz am Ende doch ein Dualismus, indem der dritte Begriff eine Art Kleberfunktion hatte. Und es mag sein, daß Engels dieses Problem, auf das Sie, wie oben ausgeführt, zurecht hinweisen, meint, aber in der Konstruktion in "Kultur und Ingenium" bewußt, und zwar aus der Überzeugung, daß eine Dreiwertigkeit unnötiger Ballast ist, durch eine reine Zweiwertigkeit ersetzt finden.

Und in dieser Frage müßte man mir eben erst einmal erklären, nicht nur was den dritten Begriff ernötigt, sondern auch, was diese Theorie dann zu beschreiben oder schlüssiger, präziser, klarer zu beschreiben fähig ist, das in KuI nicht möglich war. Denn wir betreiben ja nicht Theoriebildung um ihrer selbst willen, sondern um die Realität zu beschreiben, die Historie. Die möglichst große Sättigung einer solchen Arbeit mit historischen Fakten und deren nachvollziebare Eingliederung in die Theorie, die Ihnen offenbar in KuI so gefallen hat, auch für Spengler natürlich gilt und auch mir das wichtigste war - eben weil wir Theorien nicht als Selbstzweck eitler Philosophen brauchen, sondern um geschichtliche Bewegungen zu verstehen - ist deshalb auch der eigentliche Prüfstein jeder Geschichtsphilosophie.

Gibt es in der Phänomenologie des Geistes ein so lautenden Kapitel? Welches meinen Sie? Das würde mich interessieren. Ich lese Bücher ja immer von vorn und bin gar nicht weit gekommen.

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Sa Jan 07, 2017 3:55 pm

Lustigerweise liegt der Latomus  bereits seit über einem Monat geliehen auf meinem Schreibtisch. Ich werde heute noch Ihren Beitrag darin lesen! Mir kamen in MuT übrigens ganz ähnliche Gedanken. Ist es doch so, dass der Seelenforscher Spengler überaus „kybernetisch“ in Günthers Sinne von der Entstehung der Hand und des Werkzeugs spricht.  Alles, was er Menschenseele nennt ist im Grunde das Gleichnis von Hand und Werkzeug – die Menschenseele ist folglich also ein reines Verfahren, jene Taktik des Lebens -, in dessen Mitte zwischen den Extremen (diese Wortwahl ist eine Anspielung auf das Hegel-Kapitel, welches ich noch Ihnen zukommen lasse und einige Sätze verlieren möchte) Herrscher und Diener, Kultur und Natur, Hand und Werkzeug, sich das Selbstbewusstsein der menschlichen Seele formiert. Es ist gewissermaßen jenes „Dritte“ zwischen Denken und Tun und dieses „Dritte“ wollen wir daher vorläufig (un)endliche Potenzialität nennen, „daß die Befreiung vom Zwang der Gattung zunächst nur als große Möglichkeit wirkt und anfangs weit davon entfernt ist, verwirklichter Individualismus zu sein“.
Das habe ich erst jetzt voll zu würdigen gelernt. Zuvor erkannte ich nicht den vollen Umfang seines Begriffs des Menschen, der in MuT so unsystematisch-anatomisch wie möglich gefasst sein will.

Das Gerede vom Austritt aus dem Gattungszwang mache ich aber nicht mit. Insofern ist es auch nicht präzise, den Menschen als kulturelle Antwort auf natürliche Herausforderungen zu begreifen, wie es anscheinend Toynbee tut. Jede regionale Hochkultur steht ebenso im Zwang der regionalen Gattung. Bloß sind es verschiedene Abstufungen des Reflexionsniveaus der Materie oder des Systems „Mensch“, die mit den Umgebungszuständen in einem schöpferischen Diskurs stehen und beinahe selbstverständlich zu verschiedenen kulturellen Geprägen führt. Es ist schier unmöglich eine klare Wertbesetzung von Reiz und Reaktion vorzunehmen. Günther wusste für seine Theorie auch ganz genau: wenn die These von der „Steinzeit“ Mesoamerikas fällt, dann stürzt auch seine Geschichtsphilosophie in einen verheerenden Pessimismus. Denn für das klassische Maschinenzeitalter, eine ganz bestimmte Art und Weise des Reflexionsniveaus, welches sich nur auf einem seelisch klar abgrenzten Raum entfalten konnte, müsse eine transklassische folgen, welche den Raum als Raum als manipulative Umgebung in sich nimmt. Sprich die kommende Realisierung des Versuchs des abendländischen Geistes, den unendlichen Raum zu bannen und durch seine umfassend regionale Gebundenheit seines Vermögens zwar eine Idee barg, jedoch daran scheiterte sie umzusetzen. Für Spengler ein tragischer Versuch, der im katastrophalen Fall des Menschen seinen heroischen Abschluss findet.

Gesetzt, die mesoamerikanischen Kulturen waren tatsächlich so etwas, wie bis in äußerste gesteigerte Gebilde eines ganz primitiven Reflexionsniveaus, so dürfte man von der heutigen Zeit meinen, dass alle Effektivierung auf Massen der klassischen Maschinentechnik eine äußerste Steigerung des regionalen Reflexionsniveaus sei. Ein wiederkehrendes Muster, fraktal gespiegelt in eine komplexere Dimension. Die freie Beweglichkeit ist eigentlich dann keine feste Entität, sondern ein Prozess der steigernden Übernahme einer Umgebung in das eigene System der reflektierenden Umgebung und gleichzeitig eine Ausweitung des räumlichen Umfangs der Umgebung. Was sich als System der Reflexion verdichtet, ist überwundener Raum. Die Umgebung gewinnt mit jeder Verdichtung des Systems gleichzeitig Umfang. War für die Seele der großen Raubkatze der herrschaftliche Raum ein Jagdterritorium, um in diesem durch seine Technik die bewegliche Beute zu fangen, so für die regionale Menschenseele dies der umgebende Naturstoff, wie Spengler zwar richtig bemerkt und zu recht schließt, dass jede Hochkultur ihren eigenen Rhythmus an ihrem Territorium entwickelte.

Wie sähe aber die Seele und damit die Weltkultur aus, die nicht mehr den vorgefundenen Naturstoff der Erde beherrscht, sondern die inneren Gesetze der Materie selbst? Das scheint mir ebenso eine Art fraktale Spiegelung in eine komplexere Dimension. Dem Raubtiere ist die Bodenbeschaffenheit seiner Umgebung nur so wichtig, da sein Verfahren sich beinahe zufällig auf demselben Boden realisiert, auf dem die Beute weidet. Dem Menschen  einer Weltkultur müsse folglich der regionale Naturstoff als Quelle der Beherrschung zufällig werden, sobald er anfängt sich von dieser regionalen Beute zu emanzipieren. Der Raum selbst wird Beute! Ich fand diesen Gedanken gründlich angekündigt in Ihren Entdeckungen zu den Initialsystemen („Überlichtgeschwindigkeit“).

Man könnte die regionale Hochkultur mit einem Ameisenbau vergleichen. Das Monopol oder die zentralistische Sammlung des Naturstoffes ins Pomerium, dem Ameisenbau. Da fällt mir ein: eine südamerikanische (welch Ironie) Ameisenspezies treibt schon länger ihr Unwesen in Europa (Wanderameise!), deren Straße fast sechtausend Kilometer fußt. Sie verbindet Norditalien mit der spanischen Antlantikküste! Vielleicht ist jener Kontinent tatsächlich das Habitat eines ganz anderen Seelenvermögens. Ich meine das natürlich auch im halben Scherze, wie sich versteht.


Zuletzt von M.G. am Sa Jan 07, 2017 5:01 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Sa Jan 07, 2017 4:09 pm

Die paar Sätze zum Verhältnis von Systemverdichtung und insgeheimer Vorbereitung einer kommenden Emanzipation derjenigen Umgebung, die im System in Form von langen Traditionsprozessen ausgeschöpft wird - das deckt sich doch mit dem Verhältnis von Kultur und Ingenium. Oder sehe ich das falsch? Mit der kultischen Ruhe meinte ich auch keinen Stillstand des Lebens, das wäre ja total weltfern, sondern der temporären Abschottung und Reduktion der Umgebung auf einen Punkt, der sich überwältigen lässt. Das folgende Ingenium. diese Revolution des Geistes, ist aber dialektisch. Umschlag von Quantität in Qualität, wie es Hegel und Marx gelehrt haben und auch aus ihren Umständen heraus verkannt haben. Total determiniert ist es nämlich nicht. So einen harten Schicksalsbegriff wollte ich Ihnen auch nicht anhängen. Vielmehr, wie Sie es an Alexander demonstrieren, Schicksal als Reife der Zeit!
Das war auch der Hintersinn des "Aus-dem-Nichts-treten". Nicht an Günther erkannt, sondern vielmehr bestätigt bekommen, was Sie in KuI mit der Reife der Zeit angelegt haben. Das "an-der-Zeit-sein" , sobald die Kultur ihre systematisch maximale Form erreicht hat.


Zuletzt von M.G. am Sa Jan 07, 2017 5:07 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Sa Jan 07, 2017 4:24 pm

Selbst bei Hegel hat die Synthese eine "Klebefunktion" und ist überhaupt nicht dreiwertig, wie immer behauptet. Allein dadurch, dass Hegel ein Absolutes setzt und in jenem sich die Gegensätze bloß so vermengen, dass sie indifferent zueinander werden, zeigt deutlich, dass zu einem Zeitpunkt t sich nur zwei Werte gegenüberstehen. Man solle sich nicht irreführen lassen von der naiven Abbildung einer Stufenleiter, die auf der nächsten Ebene die Synthese der unteren unvermittelt stehen lässt. Auf jeder Ebene zerfällt auch bei Hegel die neue Synthese in ihre Gegensätze. Als regulative Idee ist es vielleicht sinnvoll ein Ende anzugeben. Aber Hegels regulatives Ende des absoluten Geistes ist, wie ich schon sagte, Geist des Seins und Sein des Geistes zugleich.

Hegel fängt in seiner Darstellung vom Selbstbewusstsein, das als "gedoppeltes" dargestellt wird, ebenso mit einer Art klassischen Sinusfunktion an. Mal gewinnt die eine Seite die Oberhand, dann die andere. Im Grunde also sehr langweilig. Damit leitet er die abstrakteste Bewegung der Gegensätze ein. Allein, es geschieht nichts und sie verharren im "anerkennen der gegenseitigen Anerkennung". Dann, man mag es plötzlich empfinden, schreibt er in etwa: aber die Bewusstseine sind versenkt im Leben und im Leben ist der Kampf. Und damit gewinnt das langweilige gleichartige Changieren erst einen wirklich historischen und lebendigen Verlauf.

Hier ist das Kapitel zu finden:
http://www.zeno.org/Philosophie/M/Hegel,+Georg+Wilhelm+Friedrich/Ph%C3%A4nomenologie+des+Geistes/B.+Selbstbewu%C3%9Ftsein/IV.+Die+Wahrheit+der+Gewi%C3%9Fheit+seiner+selbst/A.+Selbst%C3%A4ndigkeit+und+Unselbst%C3%A4ndigkeit+des+Selbstbewu%C3%9Ftseins;+Herrschaft+und+Knechtschaft

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Sa Jan 07, 2017 4:31 pm

In der pdf zur Negation wird formal dargestellt, wie Hegels doppelte Negation zu begreifen sei. Eben nicht als klassisch logische unmittelbare Rückkehr zur Positivität von A, sondern als Kreisbahn, in der eine disjunktive Negationskette zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. An sich also langweilig. Es geschieht da auch nichts. Günther verknüpft aber das hierarchische Prinzip der klassischen Logik mit dem heterarchischen des Hegelschen Kreises und es passieren wunderbare Dinge. Achten Sie auf die Einführung der Rejektion ab einer mindestens vierwertigen Logik (natürlich alles in Wertetabellen dargestellt). Dann sehen Sie sofort, was Spontanität oder Freiheit bzw. Selbstreflexion in so einer Logik bedeutet.

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim Sa Jan 07, 2017 8:22 pm

Zunächst zur Struktur der Antworten. Wir sind beide intuitiv zu mehreren Antworten statt Absätzen übergegangen, weil wir offenbar bemerkten, daß wir immer gleichzeitig zu mehreren Komplexen reden. Mir ist nun aufgefallen, daß man diese neuen Kapitel im Forum zuordnen kann. Ich habe also einige Ihrer Antworten nochmals in anderen Forumsbereichen (MuT und KuI) wiedergegeben und geantwortet. Wir sollten also beide lernen, die schöne Kapitelteilung, die wir nun zur Verfügung haben, auch praktisch auszuschöpfen.

Hier möchte ich daher nur auf die Frage der Herkunft einer Kultur (Kulturraum) und ihrer zivilisatorisch-ingenen Emanzipation antworten. Das ist insofern schade, als in der Tat ursprünglich KuI noch Klima und Landschaft heißen sollte (als inhaltlich noch gar nichts stand). Und ein solches Kapitel wird im Zeitalter der kämpfenden Staaten vorkommen. Ich danke Ihnen schon deshalb für die Anregung, die Sie mir damit gegeben haben, denn Sie steuern ja hier eindeutig auf Ihren Vorwurf zu, alles bisherige sei ihnen zu regional gewesen, Provinz-Geschichtsphilosophie.

Ich kann verstehen, daß Sie den Gedanken interessant finden, daß der Mensch sich ganz vom pflanzlich-tierisch-landschaftlichen lösen könne. Aber spontan - und ich fürchte auch längerfristig - erlaube ich mir dergleichen gänzlich Abfuhren zu erteilen. Zunächst intuitiv - und zwar vor allem deshalb, weil diese Grundierung kein Hindernis darstellt, sich frei zu entfalten, wie Sie vielleicht in nachvollziehbarer Abstraktion fürchten - aber hoffentlich deutlicher weil:

1. jede Theorie, jedes Dasein, jeder Wille ein Axiom benötigt. Der blanke Raum, das blanke Dasein, die blanke Zeit - all das ist gar nichts. Das alles will man auch nicht erobern. Niemand will den blanken Raum erobern. Wozu? Nein, es geht um die konkreten Inhalte, die Einzelheiten, die Lokalitäten, das Regional-Provinzielle. Gerade die Ablösung davon, in barocken Hofbällen, Kaiserpalästen und Parlamentshäusern hat die Fähigkeit, noch auf die Bewegungen dieses Regionalen adäquat zu reagieren, verlustig werden lassen. Und dieses Regionale war immer stark genug, die Abstraktion auf den Boden der Tatsachen, den Boden der Kultur zurückzuziehen. Wenn Sie also nicht gerade alle Klassenunterschiede in der neuen Star-Trek-Welt aufheben wollen...

2. So wie man einen abstrakten Raum nicht erobern will, so interessiert niemanden die Beherrschung des Raumes. Auch hier geht es um die Beherrschung von Konkreta. Und um diese zu beherrschen, muß man sie verstehen. Nun ist es verführerisch - ich versteh das vollkommen - zu meinen, daß derjenige Geist, der am wenigsten durch Konkreta fundamentiert ist, am ehesten allen Ansprüchen ganz verschiedener zu beherrschender Räume gerecht werden kann. Das Problem ist, daß man mit dieser Abstraktion nicht beginnen, nicht auf ihrer Grundlage lernen kann. Der Geist ohne Input ist völlig machtlos. Oder mit dem Problem der Mächtigkeit einer Geschichtsphilosophie gesprochen: eine Geschichtsphilosophie, die keine Beispiele kennt und völlig abstrakt formuliert wird, kann sich ganz einfache, klare Axiome geben, selbstverständlich herrlich stimmige Beweise konstruieren, eindeutige Ergebnisse, ja fantastische Ergebnisse liefern... aber nichts davon wird jemanden überzeugen. Und zwar deshalb, weil damit im Grunde nichts gesagt ist. Hegel hat auch tolle Sätze geschrieben, wenn er genügend Wermut zur Hand hatte. Aber wem hat das geholfen - außer jenen, die ebensoviel Wermut entbehren können.

Aber Spaß beiseite. Die Fähigkeit zur Analogie, die neben derjenigen der Logik das wesentliche Mittel zur Beherrschung einer jeden Sache ist, bildet sich an der Verschiedenartigkeit der Konkreta und ihrer Ähnlichkeiten. Die Lernumgebung muß Logik enthalten und Möglichkeiten zur Analogik. Das meine ich, wenn ich so begeistert von der Welt des Jahres 1800 schreibe. Das geht nur in einer möglichst ausdifferenzierten Welt. Später kann man andere Welten ansehen und versuchen das gelernte zu übertragen, z.B. in der Technik. Aus dem Nichts heraus dasselbe zu leisten ist nicht möglich. Weder ohne jedes Konkrete, noch in Überschauung von allem gleichzeitig, denn das wäre so abstrakt und fern, wie wir heute die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte rezipieren. Das ist aber nicht gleichbedeutend damit, sie zu erschaffen. Es ist unendlich schwächer. Wir schauen auch auf die Leistungen der Vergangenheit wie der Neger auf den Ottommotor.

eine Emanzipation dürfte aber keinesfalls schwächer, sondern müßte sogar mächtiger sein. Sie verstehen...

[für den Rest benötige ich etwas Zeit zum Lesen]

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser So Jan 08, 2017 12:00 am

Die Zergliederung in die Unterforen war wirklich eine Entlastung. Ich danke Ihnen für diese sehr nützliche Intervention.

Ich werde mich vorerst mit einer Stellungnahme zurückhalten, darf Sie aber insofern beruhigen, dass ich den beherrschbaren Raum durchaus bloß als Medium, in dem sich die Dinge des praktischen Interesses anordnen. Ich möchte mich deshalb dagegen wehren, meine sogenannte Ablehnung der Provinz-Philosophie im Gespann einer schönen abstrakt gemachten und entfleischten Idee zur tatsächlichen harten und materialen Wirklichkeit verstanden zu wissen. Was ich alleine meinte, ist ein relativer Unterschied. D.h. das relative Verhältnis von System und Umgebung. Dazu werde ich mehr noch im anderen Forum zur Überlichtgeschwindigkeit schreiben. Soviel kann ich aber denke ich feststellend zustimmen: 1800 und das Märchendeutschland gebar relativ für diese schöpferischen Leistungen und das allgemeine Wohlgefühl dieser Menschen die ideale Umgebung. Auch fallen die 25 Jahre der deutschen Philosophie darunter. Von Kants Kritik der reinen Vernunft bis Hegels Phänomenologie des Geistes dauerte es ein Vierteljahrundert.

Unbedingt muss eine Emanzipation mächtiger ausfallen. Mit dieser gemeinsamen menschenlieben Einsicht sind wir sogar einen Schritt vorgedrungen in ein weiteres Problem: lässt sich die Mächtigkeit mit zahlenmäßiger Kardinaliät angeben? Es gibt interessante Arbeiten Günthers zu einer möglichen Theorie der qualitativen Zahl, die, jetzt kommt's, eine zuverlässige Maßeinheit für die Mächtigkeit des "Urwerts" angebe. Gewissermaßen eine "Nietzsche-Zahl", wenn ich das so sagen darf.

""Für den Kybernetiker nämlich ist der Urwert weder die reine Spiritualität noch die primordiale Materialität, sondern die lebendige ewig wechselnde Relation zwischen System und Umgebung. Der jeweilige Ort des Organisationszentrums, das System und Umgebung zusammenhält, ist für ihn der Ursprung aller historischen Wertsetzungen." (Teil 2, 12:45)

Jener Urwert drückt dasselbe wie das Axiom aus, von dem Sie sprechen. Günther untertreibt seinen sehr weiten Begriff von Kybernetik, indem er das Bezeichnete einfach Kybernetik nennt. Kybernetik ist für ihn die Wissenschaft von der historischen Wertsetzung,  d.h. der Herausbildung eines Axioms, eines Denkzwanges wenn man möchte.

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim So Jan 08, 2017 1:42 pm

Die PDF, die sie oben angaben, habe ich überflogen. Mir scheint auch mehr nicht nötig, denn

1. Es handelt sich in der ersten Hälfte gewissermaßen um eine Formalisierung der Hegelschen "Spirale"

2. Es wird daraus ersichtlich, wie der Widersatz zwischen der einfachen Kreisstruktur durch mehrfaches Durchlaufen dieses Kreises verfeinert wird.

Ich halte die Formalisierung selbst für nicht besonders wichtig, denn wir wollen ja nicht "rechnen". Das ist auch als Prosa verständlich. Es ist jedoch insofern sehr hilfreich, als es Hegel klarer macht. Nämlich, indem man seine Kreismetapher, indem sie folgende, von der ersten abhängige weitere Kreise anbietet (eben jene Spirale), als ein rückbezügliches, oder wiederum kybernetisch gesprochen selbststeuerndes System betrachten kann.

Das macht mir jetzt auch erklärlich, warum Sie hier eine so enge Beziehung zu KuI sehen. Denn was da an feineren "Verkreisungen" vorkommt, das ist natürlich nichts anderes als die immer höherfrequente Fraktalität. Und ich brauche nicht hinzufügen - tue es aber offensichtlich doch -, daß die Sinusfunktion eine Kreisfunktion ist und daher absolute Identität besteht.

Das heißt zwar nicht, daß Hegel fraktal gedacht hätte, mir wird aber klar, daß er es beabsichtigte. Nun leuchtet mir nämlich ein, warum der Kerl nach der Einführung seiner drei Grundwerte in der Logik (Sein, Nichts, Werden), wie ein Irrer - denn das ist alles kaum noch anhand der Begriffe nachvollziehbar - neue und immer neue Begriffe schafft. Ich erwähne das in KuI S.58. Bei Hegel: Encyclopädie der Wissenschaften, Erste Abteilung der Logik: ab §89 und seit §90 wird es dann abstrus: neben Dasein und Bestimmtheit, braucht er nun Qualität, Realität, Anderssein, Ansichsein, Unendlichkeit, Fürsichsein, Quantität, Grad usw. usf.

Mir ist damit klar geworden, daß Hegel - in seiner Abneigung gegen das Formale, nämlich stattdessen alles prosaisch auszudrücken - exakt daran gescheitert ist, daß seine Philosophie eine unendliche Folge von Möglichkeiten des Regresses eröffnet, er sich aber weigerte, das mathematisch zu fassen, und folglich jeder neuen Stufe einen Namen geben mußte. Jetzt haben diese Dinge aber keine allgemeinen Namen, sondern nur einzelne Repräsentationen im Leben oder der Geschichte. Beispielsweise ist eine historische Repräsentation einer solchen Reflexionsebene das Barock, ein Beispiel aus einer anderen Ebene ist die Frühe Neuzeit, ein Beispiel aus einer noch höheren Ebene das Abendland. Für diese drei von theoretisch unendlich vielen Beispielen (Fraktalität), haben glücklicherweise zweie allgemeine Begriffe, nämlich der erste Stil, der dritte Kultur. Der Zweite hat keinen. Ich habe an manchen Stellen diese Ebene Epoche genannt. Aber es ist klar, das das völlig willkürlich ist, weshalb ich es auch nicht strapaziert habe. Unterhalb der Stile fehlen uns auch alle Begriffe. Ich habe mir mit Halbstilen abgeholfen. Und dann? Kein Mensch weiß das. Weil das völlig willkürlich ist, so klingen auch Hegels Begriffsschöpfungen völlig willkürlich und können an keiner Stelle mit Beispielen verständlich gemacht werden.

Nun ist es selbstredend, daß in tiefere Feinheiten einzudringen die unterliegenden feinsten Schwingungen, also Vorgänge in der Welt, die individuellen Einzelheiten viel zu stark sind, als daß man noch überzeugend große Linien zeichnen könnte. Deshalb höre ich bei den Halbstilen auf und auch Hegel findet an einer gewissen Stelle mit den Begriffskreationen ein Ende. Nur sind seine, da er sich nicht auf Historie, sondern ganz allgemein auf das Dasein beziehen will und es vermeidet, das mit Konkreta historischen Schlags zu verbinden, völlig abstrakt und unverständlich. Wir machen aber im Grunde dasselbe. Was bei Hegel allerdings zur allgemeinen Grenze wird, nämlich der letzte abstrakte Begriff, den er sich ausgedacht hat, das geht eben mathematisch - und auch physikalisch, also lebensweltlich - betrachtet fort. Da ich eine unterliegende Theorie entworfen habe, die das deutlich macht, sage ich einfach: "usw." - Stichwort fraktale Verkürzung S. 52. So wie ein Mathematiker nach den ersten Termen einer Taylorentwicklung, die er aufschreibt, ebenfalls sagt: "usw."

Aus der Abstraktion Hegels allerdings hat sich nichts Gutes entwickelt. Denn wenn wenigstens ihm selbst diese Begriffe anschaulich gewesen wären, hätte er sie ja irgendwo auf die Historie übertragen können und meinetwegen Fürsichsein mit irgendeiner historischen Stufe Identifizieren können. Das geschieht meiner Erinnerung nach aber selbst in der Philosophiegeschichte Hegels nicht (außer mit ausgewählten Begriffen. Jedenfalls nicht äquidistant oder aquichronologisch oder mit allgemeinen Epochen der Weltgeschichte übereinstimmend - denn Hegels Geschichtsphilosophie leidet ja übermäßig an dem, was Spengler die "ungeheure perspektivische Täuschung" der Historie nennt).

Das ist also eine ausgesprochen aufschlußreiche Analyse der Hegelschen Kreismetapher, die ich eigentlich selbst hätte sehen sollen, müssen. Das war schwach. Um so dankbarer bin ich Ihnen und Günther, das offengelegt zu haben. Ein wirklich schöner Gedanke, der sich daraus entwickelt hat. Im nächsten Leben, wenn es dann eine zweite Auflage von KuI gibt, werde ich das ergänzen ; )

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser So Jan 08, 2017 3:58 pm

Hier übrigens eine ganz witzige Übersicht: http://www.hegel-system.de/de/d0.htm
Das Hegel-Sierpinski-Dreieck.

Ja, erst ab S. 10 wird es historisch relevant, wie ich auch meinte, bei Einführung eines vierten Wertes lernen wir erst, dass Hegel keine Geschichte geschrieben hat, sondern eine konstruierte Bewegung vom Konkreten (sinnliche Gewißheit) zum ganz abstrakten Begriff (das Absolute), jeder Drittwert nur ein angeklebter und auf die nächste Ebene spiegelnde Zweiwertigkeit war. Man sieht es ja auch an der Struktur des Dreiecks, welches keine echte Heterarchie kennt, wie sie Günther versucht aufzubauen. Schade, dass Sie sich nicht die volle Zeit genommen haben. Denn, um es vielleicht spannender zu machen, ich habe mir gestern Abend noch ein paar weitere Gedanken gemacht zum Begriff der ingenen Entscheidung - und mir scheint diese ingene Freiheit angelegt in Günthers Akzeptions- bzw. Rejektionsfunktion, die auf S. 14 in der Tafel abgebildet sind. Und schließlich S. 15 habe ich mir die Frage gestellt, ob es eine überführbare Ähnlichkeit zwischen Günthers "Hierarchie und Akzeption" und der kultischen Logik sowie zwischen "Heterarchie und Rejektion" und der ingenen Analogik gäbe. "Und da in der Akzeption die Objektivität zum Worte kommt, in der Rejektion aber die Subjektivität sich in einem Abstoßem von dem, was nur gerade ist, äußert, so dürfen wir mit der letzten Einsicht schließen: auch der Gegensatz von Objektivität und Subjektivität prägt das ewige Doppelgesicht der Dialektik" ... Dann auf S. 15 ist der eigentliche Text auch schon abgeschlossen. Bis S. 24 gibt es nur einige Korrekturen und Anmerkungen.

Da es sich um eine großkörnige Einführung eines ganz anderen Kalküls handelt, angelehnt an ein Problem, welches von alles Neuinformatikern, K.I.-Forschern, Kommunikationstheoretikern einfach geleugnet wird, ist, die Erkenntnis eines der ersten Neuroinformatiker Warren McCulloch, dass die Simultanabläufe im neuronalen Netz nicht mit klassischen Operationsverfahren beschreibbar sind, obwohl nachweislich solche Prozesse ablaufen, die bei klassischer theoretischer Behandlung zu Widersprüchen führe. Echte Parallelität der Prozesse, oder, wie Günther es in diesem kleinen Text formuliert: "A rangiert vor B, B rangiert vor C, C rangiert aber vor A" - Das ist echte Simultanität und funktioniert nur durch die Kooperation autonomer Einheiten, die gewisse Richtungsfreiheiten haben. Der ganze Prozess lässt sich eben nicht in einer klassischen Turing Maschine sequentiell abbilden. Aber dieser Prozess ist gleichzeitig das, was wir gemeinhin Subjektivität nennen. In diesem neuronalen Sinne ist es schließlich, wie ich mit Ihrer Terminologie sagen würde, bloß der untere Bereich der ingenen Spreizung, der Bereich des menschlichen Mikrokosmos. Was bedeutet diese Erkenntnis nun für die makroskopische Weltgeschichte? Wie äußert sich Subjektivität weltgeschichtlich? Kann man überhaupt von dem Subjekt der Weltgeschichte sprechen und wenn wir Ja und Nein sagen, und dieses Subjekt anfangen zu zerlegen in Entscheidungen und es schaffen mögen die Entscheidungen in ihren logischen Vollzügen abzubilden, so ist das etwas, was man tatsächlich Fortschritt in der Rationalität der Geisteswissenschaft nennen möchte.
Zukunftszugewandt bliebe dann noch eine weitere Frage übrig.
1. Könnte es in Zukunft Entscheidungssituationen geben, deren Komplexität so außerdentlich ist, dass wir überhaupt um zu erkennen, dass hier eine Entscheidung getroffen werden muss, um vorwärts zu kommen, dem menschlichen Ich-Zentrum echte Bewusstseinsmaschinen zu Rate stehen müssten?

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser So Jan 08, 2017 4:49 pm

An einem kurzen Beispiel vielleicht noch einmal den grundsätzlichen Unterschied zwischen einer Theorie des objektiven Geistes und der Regeltechnik: Ein Beobachter wird vermeinen, der Roboter, der Schrauben aus einem Regal nimmt und sie an anderer Stelle einsortiert, habe eine Umgebung. Allerdings wird der Robotor aus seiner Perspektive eine echte Umgebung nicht kennen. Er kennt nur das hierarchische Programm, ein System und nur ein solches, welches in der Sensor-Aktor-Technik ausgeführt wird. Das gilt für jede andere kybernetisch regulierbare Anlage ebenso. Und wir dürfen darauf wetten, dass der sogenannte Marktschrei um die "Errungenschaften der K.I. Forschung" ebenso auf diesen Irrtümen Kapital schlagen werden.

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser So Jan 08, 2017 4:54 pm

Wie krass eigentlich folgendes Zitat auf S. 9:
"Wenn wir uns nämlich fragen, wo die Hegelsche Negation ihre unerschöpfliche Wiederholungsfähigkeit, die sie zum Herausstellen immer reicherer Strukturen befähigt, eigentlich hernimmt, so lässt sich nur sagen, dass die Motorik der Subjektivität, die sich aus jeder positiven Beziehung immer wieder negierend zurückzieht, ausschließlich aus der Materialität der Welt stammen kann; jener Materialität, deren Kontingenz in keiner noch so komplexen Struktur endgültig zu bewältigen ist."


Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von ThWangenheim So Jan 08, 2017 11:21 pm

Glauben Sie mir, das hat wenig mit "Zeit nehmen" zu tun. Ich habe sowohl bei Ihnen wie auch bei Günther schnell Schwierigkeiten, folgen zu können. Sie neigen Beide zum Hegelton. Da kommen Begriffe auf, die nie definiert werden, die man alle erst einmal hinnehmen muß, die auch anschaulich nicht, wenigstens in Nebensätzen, verständlich gemacht werden. Ich würde sagen, das ist kein Stil, der dazu anhält, verstanden zu werden.

Das ist die eigentliche Herausforderung eines guten Schriftstellers in der Philosophie: Kann er komplexe Dinge mit möglichst wenig Verwirrung des Lesers erklärlich machen. Ich denke, da ist Günther nicht der Begabteste. Und hat man einmal den Faden verloren, ist auch kein Zurückkommen. Das ist ein zweites Moment: Man muß den Leser auch immer mal wieder einfangen, auch den, der es verstanden hat, damit er sich nicht auf einem Handbreiten Grad in zehntausend Fuß Höhe alle Querfinger vorm Herabfallen fürchtet, ihn noch einmal versichern, daß er es verstanden hat, und wer noch damit ringt, eine andersartige, mal simplere, mal etwas avanciertere Form der Erklärung geben.

Achten Sie einmal darauf, wie gute philosophischen Bücher geschrieben sind, Spenglers etwa oder Schopenhauers. Der erste Satz sagt alles. Im Grunde können Sie hier aufhören zu lesen. Der erste Absatz sagt dasselbe etwas genauer. Hier können Sie auch aufhören. Die erste Seite gibt schon recht gut Auskunft, sagt aber dasselbe. Das erste Kapitel ebenfalls. Und das setzt sich fraktal für Einzelprobleme innerhalb der Kapitel fort: Alle Einzelerklärungen sind Hilfestellungen, die Grundaussage zu erklären. Je mehr Rücksicht auf den Leser genommen ist, desto besser. Denn wir reden hier nicht von Trivialitäten. Das alles zu durchdringen ist mindestens ein Hochleistungs-Hirnsport, vielleicht sogar unmöglich.

Da ist es völlig unangebracht einen Hegelschen Stil nachahmen zu wollen, der möglichst kryptisch in den Begriffen, möglichst krude in den Kombinationen, möglichst hochnäsig im Übergehen von Widersprüchen und rücksichtslos im Fortschreiten ist. Nicht daß Günther das alles erfüllen würde, aber beim Text hält man die Leser anders.

Meine Damen und Herren, das war das Wort zum Sonntag. Gute Nacht.

ThWangenheim
Admin

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16
Ort : Weimar

http://www.thwangenheim.wordpress.com

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Leser Mo Jan 09, 2017 12:01 am

Sie haben ja recht. Letztendlich war auch die Quelle schlecht gewählt. Der Text wurde nämlich erstveröffentlicht im Hegel-Jahrbuch 1974. Allerdings, wenn man ein größeres Werk bspw. von Günther zur Hand nimmt, fällt einem schnell auf, dass er sich sehr emphatisch bemüht den ganzen Umkreis des Problem aufzubereiten und in perioder Wiederholung darauf besteht, sogar mit einem gewissen wehmütigen Tone, dass, wenn er könnte, er sich nicht ständig wiederholen und erinnern müsste, es der Sache wegen aber not täte und deshalb bittet zu entschuldigen. Zumindest war das so in Bewusstsein der Maschine, wobei Ideen und Grundriß einer nicht-aristotelischen Logik durchaus spezieller ist, dort die Abholung umso gründlicher geschieht. Eine Fußnote ist sodann nicht bloßer Platzwarmhalter für Drittquellen, sondern notwendiger Zweitraum für den Inhalt.

Nichtsdestotrotz bleibt das nur mein persönlicher Eindruck von anderen Schriften Günthers. Ein anderes ist freilich Ihr "appellierender" Hinweis an den zweiten Adressaten. Und da haben Sie natürliches jedes Recht zur Kritik. Allein, mir war nicht bewusst, dass es tatsächlich schon so schlimm um mich steht. Vielleicht meinen Sie aber - ich hoffe es zumindest - eher noch diese bestimmte Debatte. Meist ist es gar nicht der Stil, der unangebracht, sondern ein mangelnder Ausdrucksschatz, der ganz unadäquat gebogen, gebrochen und ausgebeutet wird und folglich der Stil so gebogen, gebrochen und schwächlich. Das entschuldigt eine misslunge gegliederte Konstruktion natürlich nicht, wobei ich auch da hoffe es meist verständlich gemacht zu haben. Ein Bild hält uns gefangen ...

Mein Herr, der Ruf um Punkt Mitternacht.

Leser

Anzahl der Beiträge : 91
Anmeldedatum : 21.12.16

Nach oben Nach unten

System und Umgebung - Kultur und Ingenium  Empty Re: System und Umgebung - Kultur und Ingenium

Beitrag von Gesponserte Inhalte


Gesponserte Inhalte


Nach oben Nach unten

Seite 1 von 2 1, 2  Weiter

Nach oben


 
Befugnisse in diesem Forum
Sie können in diesem Forum nicht antworten