Geschichtsphilosophie
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Spenglers Irrgarten?

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Beitrag von Leser Mo Mai 15, 2017 7:49 pm

Ich beziehe mich auf KuI Seite 6, 1. Fußnote

Dort spotten Sie über Spenglers Inkonsequenz bezüglich der Höhepunkte der einzelnen abendländischen Kunstgebiete und unterstellen ihm Fehlleistungen seines Urteils, die vom persönlichen Geschmack des Autors verfälscht wurden. Ich vertrete die Auffassung, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht. Ganz im Gegenteil, Spengler scheint in diesem Punkte sogar sehr durch- nicht nachlässig zu sein. Der Isolationstheoretiker Spengler räumt schlicht den psychologischen Verfehlungen von Menschen und ihren Meinungen in diesem Punkte mehr Platz ein, umschließt den Kulturkörper mit einer semipermeablen Membran. Es gibt da den ganz speziellen Fall - UdA Band I, S. 414f. Beck Ausgabe -, wo Spengler vom unverwirklichten Schicksal des Barockdramas spricht. "Was hätte aus dem Drama des Barock ... werden können, wenn man niemals etwas vom griechischen Theater gehört hätte! Eine Tragödie aus dem Geiste der kontrapunktischen Musik ... - das wäre möglich gewesen und ist nun ausgeblieben" (S. 415).

Und Das vom Barockmenschen Spengler! Nun gibt es anscheinend in Spenglers Denken zumindest Platz für überragende Fehlleistungen - nicht der abstrakten Zeit als Ausdruck des Werdens, des Lebens - sondern der tatsächlichen Menschen, die in diesem Werden leben und auch irren! In Momenten wie diesen verhält sich UdA zu KuI wie der charakterlich völlig diametral gesetzte Zwillingsbruder: Subjektivität gegen Objektivität, Psychologie gegen Rationalität, Entschluss einer Seele gegen den Entschluss der Zeit.

Ich muss aber auch in genereller Hinsicht hierin mit Spengler sympathisieren. "Urseele", "Stil der Seele", das sind schließlich reine Prinzipien, reine Triebe, die sich kämpferisch in der Welt der Tatsachen entweder behaupten oder zugrunde gehen - unverwirklicht. Eigentlich ist das gar nicht so isolatorisch gedacht, wie immer angenommen wird. Aber der Tragiker Spengler musste es für das Abendland natürlich bis ins Extreme zuspitzen! Denn das ist schon eine tragische Sache, dass die dynamische Kultur schlechthin gleichzeitig die am meisten gefährdete Kultur sein soll - darin Spengler ein typischer Nietzscheaner. Denn Dynamik in die Ferne, Drang zur Unendlichkeit verbindet sich mit dem seltsamen historischen Sinn, der rückwärtsgewandten Perspektive. Das ist die ganze Tragik, dass diese drängende Kultur in jeden Augenblick, wo die ganze Spannung des vorwärts gerichteten Blicks nachlässt, sie in eine verklärende Andacht der Alten versinkt, sich selbst und ihrer Schöpferkraft anzweifelnd - rein psychologisch! - und kulturell schwerwiegendern Selbstmissverständnissen erliegt. Spengler schreibt vom Barockdrama, wie von einer eiternden Wunde.

Damit habe ich eine eigentlich erst negative Beobachtung zu den Höhepunkten abendländischer Kunst gemacht. Wie erklärt Spengler eigentlich das Auseinanderklaffen der gelungenen, verwirklichten Höhepunkte? Auf S. 417 gibt es eine vorläufige Bemerkung: "Jede Kunst, jede Kultur überhaupt hat ihre bedeutsame Tagesstunde". Sie reicht sogar gänzlich für meine Ausführung. Es ist also dies: natürlich gab es schon immer Arten von Literatur, Malerei, Plastik, Architektur, Musik - aber wann haben die einzelnen Künste am gewaltigsten die Dunkelheit ausgedrückt? Und an dieser Frage orientierend verlegte er die einzelnen Höhepunkte in unterschiedliche Epochen.

Dann aber, noch auf derselben Seite 417, drückt Spengler symbolisch das aus, was auch Sie mit Kultur und Ingenium zu sagen vermochten: Die kultische Antike "...kennt keine Tageszeit ...; es herrscht eine reine, zeitlose Helligkeit" -  gegen die abendländisch-ingene "... imaginären, von der Stunde unabhängigen Dunkelheit, der eigentlichen Atmosphäre des faustischen Seelentums."

Ich widerspreche Ihnen also insofern, dass - allein aus UdA heraus betrachtet - Spengler niemals Verirrungen hätte einräumen müssen bezüglich der Höhepunkte einzelner Künste. Eher hätte er allerdings die innere Ordnung der Künste selbst analysieren müssen. Also ob die Architektur notwendig vor der Literatur liegen muss usf.

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Beitrag von ThWangenheim Fr Jun 09, 2017 7:41 pm

Erstens erwarte ich für das Urteil der Durchlässigkeit Bewußtsein für dasselbe. Er diskutiert aber diese Tatsache der verschiedenen Höhepunkte gar nicht. Im Gegenteil: Die Tafeln und auch der Text suggieriert im Ganzen ja Gleichmäßigkeit der Erscheinungen. Und dann läßt sich der Dichter Spengler eben zu merkwürdigen Medallienvergaben hinreißen. Das scheint mir hier das Problem zu sein.

Zweitens gibt es ganz klare Epochenbezeichnungen in Spenglers System: Abgesehen von den politischen Zuständen (sprechend genug!) erscheinen auch auf seinen Tafeln Begiffe wie Höhepunkt, Reife, Vollendung - und allesamt (obwohl es einmal um Architektur, einmal um Dichtkunst geht) immer am Ende der Kultur/Übergang zur Zivilisation. Das widerspricht seinen Aussagen zur Gotik. Dabei wäre es folgerichtig gewesen, wenn er seiner Begeisterung für den Barock hier die Zügel hätte schießen lassen. Das hätte gepaßt.

Man kann freilich jede Schwammigkeit, die der Autor nicht zugibt oder an sich selbst gar nicht erkannt hat, als Durchlässigkeit bezeichnen.

Spengler meint mit Seele keine Subjektivität. Die Seele ist ja eine ganze Kulturseele, d.h. kein Individuum, sondern der Durchschnitt aller Kulturmenschen, alles Schaffens, das von ihnen ausging. Sicher können sich auch Massen irren. Aber jeder, der Geschichtsphilosophie ernst nimmt, muß die Erscheinungen der Geschichte ernst nehmen. Ich habe nichts dagegen, das eine als Oberflächenphänomen zu betrachten, ein anderes als tiefgehend, aber einem Vorgang in der Geschichte vorzuwerfen, er sei falsch verlaufen, das halte ich für völligen Kindergarten. Es ist ja bloß falsch im Sinne des Systems, das man ihr gerade zugeschrieben selbst erst hat. Und mit welchem Recht? Mit dem Recht, daß dieses System die Erscheinungen der Geschichte gut abbildet. Die Voraussetzung für eine Verirrung der Geschichte aber ist, daß das System die Geschichte gerade nicht abbildet - sonst könnte man zu jenem Schluß der Verirrung ja gar nicht kommen. Das ist - wenn nicht Gott mit Spengler darüber gesprochen hat - ein ganz klarer systematisch-logischer Systemfehler. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Sehr gut gefällt mir ihre Beobachtung der zwei Kräfte des Vorwärtsdrängens und des Rückschauens. Und zugleich macht das deutlich, daß es sich nicht um faustische, sondern allgemeine Tendenzen der Kulturen handelt. Das sind zwei mächtige Gefühlswelten, die da in Abwechslung kommen.

Ich glaube auch, daß er diese Höhepunktbezeichnungen gar nicht gebraucht hätte. Sie folgen nicht streng, sie sind unnötig. Vor allem aber mußte er sie schon deshalb nicht zugeben, weil er noch viel grundlegender eine ganze Epoche, die Renaissance, schonungslos als Verirrung gehandelt hat, also als ein unbewußtes Geständnis, daß sein System einen fehler enthält.

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Beitrag von Leser Fr Jun 09, 2017 9:51 pm

Ich glaube, wir müssen das grundsätzlicher angehen.

1. Mit welchem Recht behauptet Spengler, dass die morphologische Betrachtung gerade kein System darstellen soll.
   1.1 Steckt er sein Vorhaben begründet genug ab?
a) Ja. Woraus folgt: Er entwirft kein System der Weltgeschichte, sondern eine analogische Betrachtung zwischen Hochkulturen.
b) Nein. Und es folgt alles, was Sie bereits gesagt haben: unreflektierte Begeisterung und klare systematisch-logische Systemfehler.

Bevor ich weiteres aus a) ziehe - und insgeheim also voraussetze, dass Spengler sein Vorhaben gut begründet hat -, noch einen Nachtrag zur Durchlässigkeit. Das war nämlich gedanklich sehr geprägt von meinem aktuellen Lesestand in UdA. Nämlich Band II, Kapitel I, Abschnitt III. Ich meinte damit den anscheinend zu oft unter den Tisch gekehrten kulturoffenen Spengler - die auswählend-durchlassende Membran, die jede Hochkultur im Austausch mit Landschaft, ehemaligen Kulturen oder lebenden Nachbarn verbindet und trennt

Besonders III. ("Die Beziehungen zwischen den Kulturen") ist ein echtes Psychologenstück. Schon der erste Absatz gibt den durch und durch subjektivistischen, spät-wittgensteinischen Ton, welcher hier angeschlagen wird vor. Ich möchte die bezeichnensten Sätze einfach zitieren, dann lässt sich damit leichter arbeiten.

[S. 617] "Wie reich ist die Psychologie dieses Aufsuchens, Abwehrens, Wählern, Umdeutens, Verführens, Eindringens, Sichanbietens, und zwar sowohl zwischen Kulturen, die sich unmittelbar berühren, bewundern, bekämpfen, als zwischen einer lebenden Kultur und der Formenwelt einer toten, deren Reste noch sichtbar in der Landschaft stehen! "

[S. 618] "Nicht das Geschaffene »wirkt ein«, sondern das Schaffende »nimmt an«. Man verwechselt Dasein und Wachsein, das Leben mit den Mitteln, durch die es sich zum Ausdruck bringt. Das theoretische Denken, selbst bloßes Wachsein, sieht überall theoretische Einheiten in Bewegung begriffen. Das ist echt faustisch-dynamisch. In keiner andern Kultur haben die Menschen sich Geschichte so vorgestellt"

(Kritik an die Historiker, die nur äußerliche Einflüsse sehen wollen, denen eine Kultur nur passiv gegenübersteht. Hier ist Spengler sogar sehr kantisch: die "Einflüsse" sollen sich nach dem aktiven Wollen der Kultur richten. Es zeigt aber auch, wie labil damit Geschichte in ihrem Verlauf wird! Das berührt aber nicht die morphologische Tendenz, sondern die geschichtlichen Einzelheiten - wohin auch die sogenannten Verirrungen gezählt werden müssen. Denn wenn das einheitliche Kultursubjekt sich selbst aktiv mit einer semipermeablen Membran umgibt, so hängt sehr vieles in der Geschichte der Einzelheiten davon ab, was diese Membran überhaupt berührt.)

[S. 622] " Man kann die gänzlich unbewußte Weisheit der Auswahl und der ebenso entschlossenen Umdeutung gar nicht hoch genug einschätzen. Jede Beziehung, die zugelassen wird, ist nicht nur eine Ausnahme, sondern auch ein Mißverständnis, und die innere Kraft eines Daseins äußert sich vielleicht nirgends so deutlich wie in dieser Kunst des planmäßigen Mißverstehens. Je lauter man die Prinzipien eines fremden Denkens rühmt, desto gründlicher hat man sicherlich ihren Sinn verändert."

(Für diese Debatte ein Satz, den ich vorziehe! Er gefällt mir sehr gut.)

Das war also zur Durchlässigkeit zusammengetragen. Nun werden Sie gemerkt haben, dass mir diese Sätze gleichzeitig die Steilvorlage für a) liefern. Weltgeschichte ist kein System. Nicht einmal die einzelnen Hochkulturen sollen Systeme sein. Implizit wiederholt er ja auch nichts mehr, als eben diese Feststellungen. Sei es in der sorgfältigen und ständig wiederkehrenden Unterscheidung zwischen Dasein und Wachsein, Schicksal und Kausalität, Land und Stadt etc etc. Nicht eine einzige konkrete Kunst gehört im Grunde in die morphologischen Tafeln. Das macht Spengler auch klar auf S. 618:

"Das erste ist, daß man ein System von Ausdrucksformen mit einem Namen bezeichnet. Damit hebt sich ein Komplex von Beziehungen vor dem Auge ab. Es dauert nicht lange, und man denkt sich unter dem Namen ein Wesen und unter der Beziehung eine Wirkung. Wer heute von der griechischen Philosophie, dem Buddhismus, der Scholastik spricht, meint irgendwie etwas Lebendiges, eine Krafteinheit, die herangewachsen und mächtig geworden ist und nun von den Menschen Besitz ergreift, ihr Wachsein und sogar ihr Dasein sich unterwirft und sie zuletzt zwingt, in der Lebensrichtung dieses Wesens weiterzuwirken. Das ist eine vollkommene Mythologie,[618] und es ist bezeichnend, daß nur Menschen der abendländischen Kultur, deren Mythos noch mehr Dämonen von dieser Art kennt – »die« Elektrizität, »die« Energie der Lage –, in und mit diesem Bilde leben."

Daraus erschließt sich, dass die morphologischen Stufen echte Leerstellen sind, ganz abstrackt gewählte Oberbegriffe, die nicht systematisch, sondern nur analogischen Sinn haben. Sie sind nur Bilder und ich könnte wetten, dass selbst diese Begriffe noch eigentlich viel zu "abendländisch" gewählt sind - aber der Mystiker Spengler kann in diesem Sinne nicht anders. Irgendwie muss man es ja mitteilen.

"Es dauert nicht lange, und man denkt sich unter den Namen ein Wesen und unter der Beziehung eine Wirkung" - Das spricht es eigentlich aus. Genau so haben wir immer Spenglers morphologische Tafeln rezipiert- als Wesen, als Wirkungen. Für Spengler aber sind das pure Wachseinsphänomene und damit falsche Interpretationen.

[S. 622] "Man sollte doch die Blicke darauf lenken, daß jeder heranwachsende Mensch und jede lebendige Kultur beständig ungezählte Tausende von möglichen Einflüssen um sich hat, von denen ganz wenige als solche zugelassen werden, die große Mehrzahl aber nicht. Sind es die Werke oder die Menschen, welche die Auswahl treffen?

Der auf Kausalreihen erpichte Historiker zählt nur die Einflüsse, die vorhanden sind; es fehlt die Gegenrechnung. Zur Psychologie der positiven gehört die der »negativen« Einwirkungen. Gerade das wäre eine äußerst aufschlußreiche und die ganze Frage erst entscheidende Aufgabe, an die sich noch niemand herangewagt hat. Geht man ihr aus dem Wege, so entsteht das in seinen Grundzügen falsche Bild eines fortlaufenden welthistorischen Geschehens, in dem nichts verloren geht. – Zwei Kulturen können sich von Mensch zu Mensch berühren oder der Mensch der einen die tote Formenwelt der andern in ihren mitteilbaren Resten sich gegenübersehen. Tätig ist in jedem Falle der Mensch allein. Die gewordene Tat des einen kann von einem andern nur aus dessen Dasein heraus beseelt werden. Sie wird damit sein inneres Eigentum, sein Werk und ein Teil seines Selbst. Nicht »der Buddhismus« ist von Indien nach China gewandert, sondern es wurde aus dem Vorstellungsschatz der indischen Buddhisten ein Teil von den Chinesen einer besonderen Gefühlsrichtung angenommen und zu einer neuen Art des religiösen Ausdrucks gemacht, die ausschließlich für chinesische Buddhisten etwas bedeutete. Es kommt nie auf den ursprünglichen Sinn der Form an, sondern auf die Form selbst, in welcher das tätige Empfinden und Verstehen des Betrachters die Möglichkeit zu eigner Schöpfung entdeckt. Bedeutungen sind unübertragbar. Die tiefe seelische Einsamkeit, die sich zwischen das Dasein zweier Menschen von verschiedener Art legt, wird durch nichts gemindert. Mögen sich damals Inder und Chinesen gemeinsam als Buddhisten empfunden haben, sie standen sich innerlich deshalb nicht weniger fern. Es sind dieselben Worte, dieselben Bräuche, dieselben Zeichen – aber zwei verschiedene Seelen, die ihre eignen Wege gehen"

***

Die Wege aber sind ebenfalls keine "Geschichte" im morphologischen Sinne. Wir müssen hier grundsätzlich scheiden zwischen Lebenslauf und Lebensweg. Was Spengler auch immer an der Renaissance abgelehnt haben mag - es war nicht der Lauf der Dinge, sondern der Weg. Und selbst das müssten wir uns noch näher anschauen. Ich muss jetzt kann ungeniert nachfragen, wo bei Spengler eigentlich die "Verirrung der Renaissance" so unmissverständlich negativ auftaucht. Denn wenn dem so wäre, dann hat der gute Spengler sich wirklich selbst ins Bein geschossen.

Allerdings habe ich auch schon eine Stelle gesichtet, die exakt die Renaissance in Hinblick auf Beziehungen zwischen den Kulturen behandelt. Er schreibt auf S. 621:

"Die Renaissance stand ja wohl ganz unter dem »Einfluß« der antiken Kunst? Wie war es aber mit der Form des dorischen Tempels, mit der ionischen Säule, dem Verhältnis von Säule und Gebälk, der Farbenwahl, Hintergrundbehandlung und Perspektive der Gemälde, den Grundsätzen der figürlichen Gruppierung, dem Vasenbild, dem Mosaik, der Enkaustik, der Tektonik der Statue, den Proportionen des Lysippos? Warum übte das alles keinen Einfluß?

Weil es von vornherein feststand, was man ausdrücken wollte, und[621] man also von dem toten Bestand, den man vor sich hatte, nur das wenige wirklich sah, was man wünschte, und zwar so, wie man es wünschte, nämlich in der Richtung der eignen Absicht und nicht der des Schöpfers, über die keine lebendige Kunst je ernstlich nachgedacht hat."

Daher auch meine Gegenüberstellung vom Entschluss des Subjekts und dem Entschluss der Zeit. In der Frage der Renaissance - so wie ich es jetzt mit Spenglers Werk dargestellt habe - widersprechen sich KuI und UdA ja eigentlich gar nicht. Das von Ihnen erkannte Changieren ergänzt die morpohlogischen Bildunge und diese ergänzen vielleicht auch KuI. Das muss sich allerdings - meiner Meinung nach - noch entscheiden.

Denn freilich hab ich mir über die Dreierreihe Ägypten-Antike-Abendland so meine ketzerischen Gedanken gemacht. Zwar sagen Sie zu recht, sie können das Wechselprinzip an jeder Hochkultur - ja an jeder Erscheinung - vollziehen (was ja auch das wunderbare an Fraktalität ist: man kann es vergrößern und verkleinen, mal eine Hochkultur damit verstehen, mal den Lebenslauf eines Musikers wie Wagner), haben aber insgeheim eine Reihe von Problemen gekonnt ausgeblendet durch eben diesen Dreischritt. Ich möchte sagen: es war einfacher "Weltgeschichte" systematisch zu konzipieren, wenn die behandelten Erscheinungen 1. chronologisch 2. stufenhaft behandeln werden. In dieser scharfen Trennung zwischen Ägytpen - Antike - Abendland wirkt KuI sogar isolatorische als UdA, denn es existieren keine Beziehungen, die über das eigene hinauswiesen - nicht einmal als "planmäßiges Missverständnis" wie Spengler so schön sagt.

Zwar changiert die Zeit innerhalb einer Hochkultur in sich selbst aber für die Hochkulturen untereinander ist das kaum zu beweisen. Sie stehen völlig getrennt nebeneinander - nicht "gleichzeitig" im Sinne Spenglers, sondern chronologisch im Sinne einer einheitlichen Richtung. Daher ist der Aufbau Ihrer und Spenglers Tafeln entschieden gegensätzlich. Chronologie gegen Gleichzeitigkeit. Im Sinne Spenglers wäre "Fraktalität" als Bildvorstellung reiner faustischer Verstandesmythos. "Die" Fraktalität. Just a joke Smile

Ich behaupte aber ganz dreist: Eine fraktale Weltgeschichte, die sich über den Dreischritt hinauswagte, würde Sie mit mehr Problemen konfrontieren, als vermutlich jetzt absehbar. Die schwungvolle weltgeschichtliche Kreiskurve suggeriert zwar den Wechsel, aber er ist so überaus abgezogen und abstrakt, so unvermittelt und mystisch - denn, wie gesagt, Sie behandeln eigentlich keine Verbindungsstellen zwischen Ägytpen, Antike und Abendland -, dass man zu diesem Schema noch ein ganz anderes, sehr bekannten und doch von Ihnen abgelehntes Schema, nämlich Antike-Mittelalter-Moderne setzen kann. Und schon sind wir wieder in der Stufentheorie mit chronologischem Richtungssinn.

Es kommt also gar nicht darauf an, "vor" Ägypten etwas anzulagern, sondern das interkulturelle fraktale Phänomen "gleichzeitg" zu behandeln. Und hier wäre eine große Chance! Genau hier könnte man Spenglers "Urseelen" endlich auflösen und Klarheit schaffen! Denn dann würde man - durch Einbeziehung der "gleichzeitigen" Kulturen - ein exaktes Verständnis von dem haben, was Spengler "planmäßiges Mißverstehen" nennt. Dann folgt nämlich, dass das Changieren nicht bloß auf den innerkulturellen Monolog beruhe, sondern auch auf dem Dialog zur Außenwelt.













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Beitrag von ThWangenheim So Jul 23, 2017 2:56 pm

Ein wenig habe ich Ihnen ja bereits per Mail geantwortet. Aber es gilt noch einen grundsätzlichen Punkt zu klären, und zwar die Verbindung zwischen den Kulturen. Ich habe nämlich das Gefühl, daß Ihnen dort die Radikalität der wahren Zyklik von KuI, noch nicht in ihrer ganzen Abstraktion bewußt geworden ist.

Das Problem bei Spengler besteht im Grunde darin, daß er die Kulturen als gegebene Entitäten voraussetzt. Bei mir geschieht eigentlich die Zerstörung dieser Entitäten. Ich hänge die Kurven, die ich Ihnen per Mail versprochen habe hier an. Zunächst kurz zu Ihrer berechtigten Kritik, daß in der Originalgrafik im Buch die Ingenien nicht tief genug reichen.

Das Grüne ist die Kulturkurve, das Rote die Epochen (Mittelalter, Republik, Neues Reich usw.), das Blaue die Summe, also die Weltgeschichtsfunktion bis zur Ebene der Epochen. Im Buch: "Folge der weltgeschichtlichen Kulturen und Epochen" auf der Rückseite des letzten Faltblatts. In der Mitte liegt bei den folgenden Plots der Höhepunkt der Römischen Republik bzw. des klassischen Griechenland. Die beiden Spitzen links und rechts sind die Kulturmitten von Äygpten und dem Abendland.

[Sie müssen registriert oder eingeloggt sein, um das Bild sehen zu können.]

Sie sehen an der roten Kurve, daß nun an der Grenzscheide der Kulturen (wo die grüne Kulturkurve das Vorzeichen wechselt) zwei Ingenien aneinanderstoßen. Wie stark man diese beiden durch eine Kulturhöhe trennt, ist Ansichtssache, weshalb ich zwei Varianten geplottet habe. Die Ingenien sind genauso lang wie die Kulturen. Und nun summiert sich auch genügend Ingenium in die negativen Quadranten des Koordinatensystems. Ich hoffe das ist anschaulich.

Sie sehen aber auch, wie erfolgreich Ihr Hinweis war: Denn Sie können jetzt nicht nur die beiden tiefen Ingenien am Beginn und Ende der ingenen Kulturen gut sehen, sondern anhand der Formeln, die geplottet wurden, daß diese selbst schon ganz fraktal aussehen. Im wesentlichen steht dort: cos(x)+cos(2x)+cos(4x). Und wie Sie sich vorstellen können, kann man das fortführen. Und das sieht dann so aus:

[Sie müssen registriert oder eingeloggt sein, um das Bild sehen zu können.]

Sie sehen, daß hier die Kurve eine ganz klare fraktale Form annimmt, so etwa wie die Grenzlinie zwischen schwarz und Farbe beim Apfelmännchen. Das ist die eigentliche fraktale Weltgeschichtskurve. Und freilich mag man sich nun streiten, ob solche peaks wirklich realistisch sind. Was aber auch deutlich wird, sind Stagnationsphasen und starke Schübe in der Entwicklung, also Veränderung des Gemüts. Ich denke, diese Abwechslung von Revolution und Bewegung ist auch recht interessant und naheliegend.


Aber zurück zu den oberen plots:

Der Sinn der Plots besteht nun in einer etwas deutlicheren Form der Kultur-Funktion, die Sie in der Mail zu recht gefordert haben. Aber ganz allgemein: Was sind denn das für Kurven? Mathematische Wellenfunktionen. Nichts weiter. Der Witz ist doch, daß sie nach rechts und links also in Zukunft und Vergangenheit identisch fortgeschrieben sind. Steht da irgendwo: "Antike", "Abendland", "Ägypten"? Nein. Echte Zyklik kennt keine ausgezeichneten Punkte. Alles einerlei. Freilich nur in der Abstraktion des Kulturwillens. Die konkrete Ausführung sieht antik oder abendländisch aus. Diese Kurven aber sprechen ja gar nicht über die konkrete Ausführung. Dazu mußte ich die Abschnitte der Kurven in den Faltblättern mit Text versehen und beschreiben, in welcher Art sich der fraktale/morphologische Zustand, der völlig abstrakt immer wieder kehrt, in der konkreten Kultur ausformt. Diese Grafiken bezeichnen der Übergang von abstrakter Geschichtsphilosophie, von Morphologie zu konkreter Geschichtswissenschaft: Abstraktion vs. Oberflächenphänomen.

Mit anderen Worten: Wenn Sie nach der Verbindung der Kulturen untereinander fragen und wie diese sich beeinflußt haben, dann ist diese Frage identisch zu einer anderen, die Sie vermutlich nie gestellt haben: Wie stehen sich Gotik und Renaissance gegenüber? Würden Sie dort nach Mißverständnissen und Einflüssen fragen? Weniger immerhin. Es handelt sich aber fraktal bei jenen Übergängen um denselben Vorgang, bloß auf einer anderen fraktalen Stufe. Oder noch provokativer gefragt: Behandeln Sie mit derselben Neugier die Frage, wie der Wagner des "Liebesverbots" zum Wagner des "Rienzi" steht? Ich nehme an, Sie würden das als selbstverständlichen Umschwung im Leben eines Menschen hinnehmen, als Wechsel vom einen zum anderen Stil.

Sie fragen das nicht, wenigstens nicht mit derselben Emphase. Vielleicht haben Sie sich diese Frage noch nie gestellt. Aber Sie sehen, sie sind vom gleichen Rang. Daher ist ihre Frage hochinteressant, aber der Witz der fraktalen Theorie ist gerade, diese spezielle Frage nach dem Verhältnis der Kulturen zu einer alle Querfinger und durchgängig präsenten Frage zu machen. Und sie sogar zugleich zu beantworten. Nämlich: Man will mit dem Gegenzustand gar nichts mehr zu tun haben. Sie können es an sich selbst am leichtesten Beobachten, oder indem Sie sich in Wagner versetzen. Wenn Ihre Stimmung kippt, dann ist Ihnen alles Vorherige (bis auf die identischen Zustände, die es vorher natürlich auch gab) nur noch langweilig. Aber fangen Sie deshalb in Ihrem Denken bei Null an? Haben Sie alle Fähigkeiten ihres Körpers und Ihres Geistes verloren? Nein. Sie wenden sie anders an und manchmal eignet sich eine vorige Technik nicht mehr. Was wollen Sie mit Gefühlen in einer logisch begründeten Lebensphase? Und umgekehrt. Einen Hammer in die Wand schlagen, können Sie aber immer noch.

Und genau das geschieht auch zwischen den Kulturen. Zum Teil werden gewisse Techniken unnütz, andere werden weiter benutzt. Der Wille aber kehrt sich um. Und wenn Sie nun zweifeln: Ja, der herausstechende Unterschied zwischen einfachen Stilübergängen und Kulturübergängen ist natürlich: Wir haben es bei den letzten immer mit neuen Völkern zu tun. Das ziemlich linksliberale Postulat von KuI lautet: That doesn't matter! Alle Kulturmenschen sind gleich.

Und da sehen Sie auch schon, wo der Unterschied liegt: Nicht alle Menschen, sondern alle Kulturmenschen sind gleich. D.h. gleichfähig einen intensiven Willen in materielle und geistige Hochform zu bringen.


Zuletzt von ThWangenheim am So Jul 23, 2017 4:16 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet

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Beitrag von ThWangenheim So Jul 23, 2017 3:31 pm

Mir fiel noch Ihre Frage zur Verirrung bei Spengler ein: "Mit dem Abschluß der Renaissance – der letzten Verirrung – ist die abendländische Seele zum reifen Bewußtsein ihrer Kräfte und Möglichkeiten gelangt." S. 363 Bd. 1

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Beitrag von Leser So Jul 23, 2017 6:24 pm

Ausgezeichnet! So geplottet stellen die ingenen Kultuerpeaks auch wunderbar den Unterschied zwischen Kultur in der Antike und Kultur in ingenen Hochkulturen dar. Dass also selbst die abendländische Kulturmitte (relativ betrachtet zum Bewegungsmotiv ingener Hochkulturen) trotzdem im Negativbereich/Ingenium liegen müssten, da das "Ursymbol" (von denen es also bloß zwei gibt und sich aus dem Prinzip des Wechsels herleiten - Danke für den Verweis auf S. 278 KuI!) auch dort notwendig stärker durchwirken müsste.

Die fraktale Kurve verliert diesen Zusammenhang wieder etwas; die Kulturmitten stechen durch. Ich finde, die Speerspitzen können nicht scharf genug aufsteigen. Ich würde sogar weitergehen und sagen, dass das frühe und späte Ingenium der Antike im weltgeschichtlichen Maßstabe knapp über der Nullstelle liegen müsste. Das mag dann zwar irre sprunghaft wirken, doch ist das ja nur ein Darstellungsphänomen, das man durch Streckung glattbügeln könnte (zumindest denkerisch auch so kein Problem, wobei man für alle Deutlichkeit auch Jahresangabem in 500er Intervallen oder so ähnlich anschreiben mag). Und die einzelnen Falttafeln berührt das ja dann überhaupt nicht, da sie nur die Relationen für die jewelige Kultur für sich darstellen. Dort liegt dann das Ingenium selbstverständlich unter der X-Achse - bloß im weltgeschichtlichen Maßstab muss der Wechsel knallhart durchgezogen sein.

Ihre Argumentation ist sehr berechtigt. Gewiß haben Sie das Beispiel Gotik-Renaissance im letzten Kapitel gebrach, insofern hatte ich es auf jener Stufe zumindest auf dem Schirm. Dieses Argument nun auszudehnen auf den Dreisprung der Hochkulturen habe ich aber allerdings nicht in Erwägung gezogen.

Ich kann eigentlich nichts dagegen sagen. Das scheint mir alles sehr überzeugend und wahr.

Das erklärt freilich auch die historische Kulturbegeistung des Abendlandes (zu gewissen Epochen) entgegen der überhaupt seelenlosen Gegenwartsbegeisterung des antiken Gemüts. Der ingene Kulturmensch ist quasi ziemlich nachlässig im Zerstören des Alten, da er darin einen Reiz für sein historisches Gemüt von Anfang an wittert (weshalb ich meinte, die Kulturmitten ingener Hochkulturen müssten im Negativbereich liegen, die Ingenien der kultischen Antike gänzlich im Positivbereich). Also muss der absolut ahistorische Bezug der Alten ebenfalls seine Darstellung in der Kurve der Kulturen finden. Das wäre ja äußerst interessant, wenn man einen solchen kulturübergreifenden Historismus der Formen auch bei den Ägyptern sicherstellen könnte (in Bezug auf eine statische Hochkultur x )

Aha! Da ist also jene Passage. Und doch sehe ich darin weniger ein Problem, als einen Beweis für den Historismus, der zu ausufernder Antikenbegeisterung geführt hat zumindest im artikulierten Bereich der Künste und Gelehrtenstuben. Spengler sagt ja eben zur Verirrung auch, dass sich der historische Geist an Vorbildern festgelegt habe, denen er ja doch innerlich vielleicht zugewandt aber nicht verwandt war. Die örtliche Nähe zu den Alten ist da eines dieser Oberflächenphänomene, wie auch die relative Entfernung räumlicher wie zeitlicher Art die Verbindung zu den alten Ägyptern lange bedeckt hielt. Also insofern scheint mir Ihr Widerspruch vielleicht bezüglich Chamberlains zu gelten - für Spengler nicht unbedingt.

Und weil - wenn mein Kurveneinwand auch in dieser Hinsicht für Sie akzeptabel bleibt - sich selbst die ingenen Punkte der Antike mit den Kulturmitten des Abendlandes den Koordinaten nach nicht berühren, kann es auch nur ein scheinbares "Problem der Antike" geben, wenn auch Sie es zum ranghöchsten Problem unserer Geschichte erheben. Verirrung bedeutet dann eben nicht viel mehr, als eben das Erstbeste zu ergreifen, was einem das Gefühl der Sattheit vom Eigenen nimmt.

Das wäre m.E. konsequenter Wechsel und konsequentes Folgern auf weltgeschichtlicher Ebene.



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Beitrag von ThWangenheim So Jul 23, 2017 9:56 pm

Mir fallen noch zwei Dinge auf. Da Sie sagen: "Die peaks können nicht spitz genug sein" - Ich dachte ebenfalls schon, es sei insofern recht illustrativ, als die Extreme nur sehr kurz tatsächlich vorherrschen. Bspw. das Extrem eines reinen Kommunsimus oder einer reinen Räubermentalität.  

Eine andere Grafik muß ich Ihnen hier noch vorstellen. Denn die so fraktal anmutende Kurve oben, die jene schönen Momente der Stagnation (z.B. im dritten Quadrat von der Mitte und bei +/-2.5 oder auch +/-3.7) und der Revolution (alle steilen Anstiege) zeigt, ist so berechnet, daß die höherfrequenten Schwingungen immer geringere Amplituden haben. Ob das allerdings historisch Sinn macht, ist fraglich. Dafür ist es sehr anschaulich. Nimmt man diese Amplitudenbremse heraus, dann kommt eine Kurve heraus, die ich aus nachvollziehbaren Gründen nicht ins Buch aufgenommen habe, denn das sieht oberflächlich betrachtet nach Rauschen aus:

[Sie müssen registriert oder eingeloggt sein, um das Bild sehen zu können.]

Was diese Kurve aber sehr schön zeigt, ist die Tatsache, daß Umschwünge zwischen Kultur und Ingenium auch recht kurzfristig und umfassend seien können. Das heißt, wie ich oft gesagt habe, daß selbst der Gemütumschwung von Tagen stärker sein kann, als das, was ein behäbiger Kulturkörper in 100 Jahren vollzieht.

Zum zweiten zeigt diese Kurve, woher das Argument kommt: "Es gibt keine Struktur in der Geschichte! Jede Situation ist anders." - Denn in der Tat präsentiert sich die Geschichte uns exakt so wirr. Etwas aus diesem scheinbaren Rauschen abzuleiten, scheint unmöglich. Nur wer sehr ruhig hinsieht, erkennt die Struktur selbst noch in diesem Plot. Der Historiker sieht nur irres Rauschen, das er allein mit kurzfristigen Antworten aus dem Ursache- und Wirkungs-Kalkül beschreiben kann.

Geben wir mal Butter bei die Fische: Wenn der Höhepunkt der antiken Kultur bei 300 v. Chr. liegt und die Renaissance bei 1500, dann ist der Abstand, der hier 6.25 Quadrate beträgt, 1800 Jahre. Ein Quadrat ist also 290 Jahre lang. Der frühere Kulturpeak liegt natürlich 6.25 Quadrate oder 1800 Jahre vor der y-Achse, also bei -2100. Interessanterweise - was mir bisher noch gar nicht aufgefallen war - ist das fast Jahresgenau die [link->] erste Zwischenzeit. Sogar das stimmt auf's Haar.

Pro Quader, also 290 Jahren, gibt es in der Regel fünf peaks nach oben (Kultur). Nach unten hingegen sind kaum Ausreißer sichtbar. Und das sehen Sie auch oben: Die tiefsten Punkte werden eher in kleinen Mulden erreicht. Auch das ist witzigerweise intuitiv klar: Die Kultur, das Überkünstliche ist nur für kurze Revolutionszeiten vorhanden. Es siegt immer das erdverbundene Ingenium. Man könnte überlegen, ob es daran liegt, daß die Kurve, um gleichhohe peaks nach oben und unten zu haben (was ein optisches Phänomen ist, weil die Auflösung für die Extremwerte nicht ausreicht), um 0.6 nach unten verschoben werden muß, nämlich exakt deshalb, weil die Masse der Kurve im Ingenium liegt. Das würde bedeuten: Kultur wird versucht und bricht wieder zusammen, je extremer, desto instabiler. Zurück kommen sie alle. Insbesondere die größten Absurditäten. Sie merken schon, ich bin gerade im Wertungsmodus. Aber Sie verstehen...

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Beitrag von Leser Mo Jul 24, 2017 1:05 am

Das erinnert mich an:"Ein Volk ist der Umschweif der Natur, um zu sechs, sieben großen Männern zu kommen. – Ja: und um dann um sie herumzukommen." Das wäre sozusagen der nietzeanisch-spenglersche jenseitige "Wertungs"modus. Große Männer und Überwindung zusammen ergeben erst das ausgefüllte Bild.

Mir gefällt freilich die Figur des "In Form seins" in UdA. Die Peaks sind zwar in ihrer extremen Veranlagung instabil aber sie hinterlassen dafür einen für den Kulturlauf veränderten Boden. Man kann nicht von Siegern und Verlierern wirklich sprechen. Aber ich verstehe Ihren Wertungsmodus.

Daß es solche höchst herausstechenden Momente überhaupt gibt, hebt das Antlitz des Menschen in ein höheres Licht. Wäre das anders, so würde die Gesamttendenz einer Hochkultur ja völlig aus dem Blick geraten und wir meßten einen Kulturlauf moralisch-imperativstisch an den Glückszeiten der Massen, d.h. an den ingenen Mulden.

Doch ist es ja auch nicht selbstverständlich für das menschliche Dasein auf diesem Planeten überhaupt Hochkulturen zu gründen. Natürlich liegt darin immer ein Momentum äußerster Künstlichkeit. Das folgt auch jener Einsicht Spenglers vom jähen Aufstieg und Fall - Hochkultur als ein gigantisches Revolutionsprojekt, umhüllt vom geschichtslosen Nichts, so wie die Kulturmitte umgeben vom Ingenium.

Sie meinen mit der Verschiebung nach unten um 0,6 zu bezwecken, dass nur noch einzelne Extreme über die X-Achse hinaussragen?

Mich beängstigt dieses weltgeschichtliche Kontinuum sogar etwas. Es ist zu geschmeidig, um fortführbar zu sein. Man zweifelt an Zukunft, zumindest an einer solchermaßen fortgesetzten. Was jetzt noch folgt - so befürchte ich - ist ein welthistorisch stufenweiser Abbau der einzelnen fraktalen Dimensionen. Was Spengler Wachsein nennt - gefasst als kombinatorischer Effekt fraktaler Überschachtelungen - scheint überhaupt seinen peak längst überschritten zu haben. Wenn man sich dieses Rauschen anschaut, verlässt einem das dumpfe Gefühl nicht, dass - auf dieser Abstraktionsebene freilich!- nicht Jahrzehnte, Jahrtausende "gespensterhaft anschwellen".

Sie meinten der Witz an Zyklik wäre, dass sie keine ausgezeichneten Punkte kenne, dass die mathematische Funktion in beide Richtungen weiterführe. Das scheint mir nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen. Richtigerweise müsste man angeben können - oder zumindest anfügen, dass es trotzdem eine zeitlich extrem begrenzte Form der Zyklik ist, die wir allgemein Weltgeschichte nennen- wie sich dauerhafte Beziehungen in kultureller Hnsicht bilden. Sicherlich, hätte man die Überlieferung für die Gemütsschwankungen der letzten 200.000 Jahren zur Hand, könnte man ein Kontinuum annehmen. Aber irgendetwas scheint zu fehlen. Ein qualitatives Maß fehlt, d.h. für's Fraktale eine Art Schicksal nicht bloß des ineinanderlaufenden Wechsels der Zustände, sondern der Setzung tieferer Dimensionen und deren Auflösung in ganz bestimmten (kurzen) Zeitperiode. Mit anderen Worten: Alle Kulturmenschen sind gleich -freilich ein richtiger und schöner Satz - aber was ist das Bildungsgesetz zur Schaffung dieses gleichartigen Typus Mensch in Abgrenzung zum primitiven Menschen z.B. Und hat man dieses, wieso sollte es auch nicht Unterschiede in der fraktalen Tiefe der Kulturen untereinander geben? Spengler deutet so etwas ähnliches wie ein Maß an, wenn er von der chronologischen Zahl in Abgrenzung von der mathematischen spricht. Also eine, die Formzuwachs und Abbau angibt im Lebenslauf einer Kultur angibt. Meine Überlegungen wäre dies auszuweiten auf die Reihe der Hochkulturen überhaupt.






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Beitrag von ThWangenheim Mo Jul 24, 2017 2:19 pm

Mit der Verschiebung nach unten meine ich folgendes: Wenn Sie die Funktion cos(x)+cos(2x)+cos(4x)+cos(8x)+... zeichnen, dann sammelt sich die Masse der Schwingungen recht symmetrisch um die x-Achse. Die Kulturpeaks schlagen aber enorm nach oben aus. Dadurch ist der höchste Punkt der Funktion viel höher als der tiefste ins Negative geht. Das habe ich (nachdem das ganze ohnehin auf ein Drittel gestaucht ist) mit der Verschiebung ausgeglichen und damit liegen die Peaks symmetrisch aber die Masse der Kurve (der Kurvenlänge) nun im Ingenium. Sie könnten natürlich auch sagen: Lassen wir es so, dann sind die Kulturspitzen Ausreißer. Das sieht dann so aus:

[Sie müssen registriert oder eingeloggt sein, um das Bild sehen zu können.]

Nur im Prinzip fortsetztbar. Sie haben natürlich völlig recht, daß es schon an der Fortsetzung in die Vergangenheit scheitert. Irgendwann begann "Kultur". Daher hatte ich immer auch im Hinterkopf, daß das ganze noch in eine Hüllkurve gehört, welche die drei Kulturen umfaßt, aber anfangs erst aufersteht und sich schließlich verläuft. Wenn wir obige Kurve in eine cos(0.5x) Kurve einhüllen, also multiplizieren, dann kommt das heraus:

[Sie müssen registriert oder eingeloggt sein, um das Bild sehen zu können.]

Allerdings kommen diese Aufstiege und Niedergänge natürlich wieder. D.h. auch diese Hüllkurve ist selbstredend periodisch. Aber es ist ja auch bloß Mathematik.

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Beitrag von Leser Mo Jul 24, 2017 8:57 pm

Nun, begann "Kultur" irgendwann und zieht sich der Zeitachse entlang chronologisch fort - wir ignorieren dann allerdings alle Kulturen dazwischen auf anderen Kontinenten etc. - oder sollten wir nicht vielmehr von Clustern sprechen. Das ist die Frage, ob Spenglers "Kopernikanismus" ein richtiger Gedanke war (für die reine Struktur der Geschichte, unabhängig von unserer eigenen Verstrickung in ihr).

Der Clustergedanke war das, was ich in meiner letzten Mail an Sie - und hier ebenfalls durch die merkwürdige Stimmung, die dieses Dreisprungskontinuum bei mir weckt - andeutete. Jetzt kann man einwenden: Damit verschiebt man das Entitäsdenken Spenglers bloß auf einen übergeordenen Bestimmungs- und Bedeutungsgesichtspunkt. Man gewinnt eine neue Einheit. Dann würde ich antworten - und ihre Grafiken stützen das gewissermaßen -, dass Cluster eben intime Verwandtschaftbeziehungen angeben, es sowieso naheliegt, da die Kulturen auch geographisch in engenrer Beziehung stehen, als z.B. die indische oder chinische Hochkultur. Das Cluster schließt aus, bildet eine Entität für sich, da die Kulturmitten Chinas oder Indiens das in der Zyklik nicht miteinwirken - oder "miteinbewirkt" werden.

Diese 6,25 Quadrate - +/-1800 Jahre- sind einfach ziemlich überzeugend. Andererseits muss man wirklich achtsam sein. Sie sagen zu recht, auch wenn ich einen kleinen ironischen Zug darin zu vernehmen glaube, dass diese Tafeln ja bloß Mathematik seien. Die Verwunderung über diese "Zufälle" schließt den Zufall schon aus, sobald es sich um eine denkerisch konstruierte Grafik handelt. Sie werden erst sinnvoll durch die Funktion selbst, die ihre Stärke erst durch die Zweiheit der dahinterliegenden Begriffe erhält, die Sie entwickelt haben - eine Trivialität. Wenn Sie dann sagen, Sie verstünden, woher das allgemeine Argument nach der Strukturlosigkeit der Geschichte käme, so gewiß nicht bei Betrachtung Ihres "Rauschens" - das ist ja schon regelmäßig und strukturreich genug. Jeder sieht in dieser Tafel die Zyklizität.

Zum Beispiel ist eine wichtige Voraussetzung für diese exakten 6,25 Quadarte, dass Sie die römische Kultur und die griechische Kultur seperat behandeln. Und das hängt mit der Beurteilung zusammen, was Zivilisation eigentlich ist. Ist es das späte Ingenium oder etwas danach? Wir würden eine wunderbare Parallele mit dem Spenglerschen Begriff zwischen Rom, USA, Tsinchina ziehen. Es ist sogar merklich schwer in der amerikanischen Kultur echtingene Momente zu finden. Der militärische Aufstieg dieser Nation war so rasend schnell, dass es den ingenen Bewegungsdrang - der freilich auf Kontinaleuropa durch die Weltkriege zog - aufsog und -löste. Seien es Nuklearraketen, die Beherrschung der Weltmeere mit Flugzeugträgern oder die Vorherrschaft im All. Das ist echte zivilisatorische Stasis. Man könnte auch sagen, dass die USA das ägyptische Neue Reich repräsentieren, wir uns also irgendwo "gleichzeitig" zwischen 1400-1200 v. Chr. befinden. Das setzt allerdings voraus - falls man noch an Symmetrie eines Clusters festhalten mag - dass man das Verhältnis Rom-Hellas, überdenken müsste, resp. den Zivilisatiomsbegriff.

Eine dritte Möglichkeit wäre noch den Clusterbegriff festzuhalten - wobei über Sinn oder Unsinn nicht entschieden ist - und die Hüllkurve so einstellen, dass sie abendländische Kulturspitzen und ingene Tiefen höher ausschlagen, als bei den Ägyptern. Sie dürfen natürlich einwenden, dass es der Abstraktion widerspreche und man damit bloße Oberflächenphänomene mit in die Abstraktion fließen lassen würde. Da hätten Sie einen gültigen Einwand, zumal ich es ja war, der Sie für eine Ausdehnung des Schemas Antike-Mittelalter-Neuzeit kritisierte. Ich würde dann aber antworten, dass diese Trennung zwischen mathematischer Abstraktion und Oberflächenphänomen eigentlich sinnlos ist, sobald man von lebendiger Geschichte spricht, denn sonst dürfte auch Ihre letzte Kurve sinnlos sein. Eine reine Abstraktion brauch keinen vorkulturellen Anfang, die Hüllkurve holt das, was Sie "Oberflächenphänomene" nannten in die Abstraktion.

Akzeptieren wir aber die Hüllkurve, dann hindert uns nichts mehr daran auch die Hochkulturen in diesem Cluster qualitativ voneinander zu trennen. Ich meine damit vor allem das Abendland von Ägypten.


Zuletzt von Leser am Di Jul 25, 2017 1:11 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet

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Beitrag von Leser Mo Jul 24, 2017 9:02 pm

Nachtrag!!!
Unser sehr historischer Bezug zur Antike - jenes ranghöchste Problem unserer Gesichtsschreibung, das Problem der Antike, wie Sie es nennen - ist einzigartig! Das bedeutet, dass die Ägypter so etwas wohlmöglich nicht in dieser Schärfe kannten. Und exakt dieser Umstand fordert eine fraktal tiefere Dimension für das Abendland, welche durch einen fortwirkenden Bezug zu den Alten seine qualitative Bedeutung erhält. Vielleicht sogar so deutlich überspannter, dass das "gleichzeitige" Neue Reich - USA - noch höher in den Kulturbereich peaked, als die Kulturmitte der Antike selbst, ohne dass das Abendland aber für sich die ingene Basis verlöre!!

Sie haben es vorgemacht mit der letzten Grafik: Für das Abendland muss Ägypten eine ingene Vorzeit, des Ausschlagsgrades her niedriger sein. Damit brächte man die historischen Bezüge - das sind keine bloßen Oberflächenphänomene mehr - in die Funktion! Unser Verhältnis zu den Großvätern kann nicht symmetrisch, sondern darf bloß ähnlich sein. Und das ist genug.

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Beitrag von ThWangenheim Di Jul 25, 2017 11:14 am

Die Kulturen außerhalb dieser Trinität - von Mesopotamien einmal abgesehen, daß man ebensogut stärker hätte parallel zu Ägypten einbauen können, aber schlicht nicht die Wirkmächtigkeit Ägyptens erreichte - hängen ja mit diesen dreien nicht zusammen. Für sie kann man also selbstbewußt je eine Extrafunktion Zeichnen, wobei freilich Maya und Azteken ebenfalls als aufeinanderfolgende Doppelkultur geführt werden können.

Natürlich sieht im Grunde jeder diese Zyklik. Die Geschichtswissenschaft hat ja die Begriffe der Stile, Kulturen und Epochen angenommen und verwendet sie selbst. Gleichwohl ist sie ständig dabei diese Epochen zu verneinen. Das offensichtliche Rauschen wird als Ausrede verwendet, um sich auf die Kleinteiligkeit der Fachwissenschaft zurückziehen zu können. Das ist der Nominalismus unserer Zeit. Daher traut sich niemand über Kulturen als Gesamtes zu sprechen, Kulturen zu vergleichen, Epochen zu werten, sondern nur Einzelereignisse, genauso wie man Völker nicht wertet, sondern nur Individuen. Flach eben. Sie wissen ja, wie es da zugeht und was man in diesen Kreisen von Geschichtsphilosophie hält.

Ich habe den Mittelpunkt bei 300 v.Chr. gerade so gewählt, daß die Trennung von römischer und griechischer Geschichte nicht vorausgesetzt werden muß. Wir vergessen oft, daß die Römer ihre Geschichte ja geradezu mit der griechischen parallelisiert haben. Ob diese Datierungen stimmen, darüber kann man sich streiten, aber sie werden ja im wesentlichen auch von der Geschichtswissenschaft mangels glaubwürdigerer Quellen verwendet. Und Insofern Byzanz, der griechische Osten, Rom weit überlebt hat, ist auch unser Geschichtsbild von den mit dem Hellenismus untergegangenen Griechen und dem länger bestehenden Römischen Reich im Grunde ein Trugbild.

Ich weiß nicht, ob diese Unterscheidung des Abendlandes und Ägyptens wirklich nötig ist. Die Ägypter haben sich mangels großer existierender Vorkultur diese ja selbst geschaffen! Die mythische Vorgeschichte des Alten Reiches, die wir im Turiner Königspapyrus finden, ist ja ungeheuerlich. Zehntausende Jahre haben die Ägypter ihre Geschichte in ältere Zeiten ausgedehnt, um eine unfaßbare Tradition zu konstruieren, die es in Wahrheit nie gegeben hat (und zwar nicht von den Göttern her, wie die Griechen, sondern von den auf die Götter folgenden mythischen Herrschern des Papyrus - also eine klare Trennung von Göttergeschichte und historischer Geschichte, d.h. Konstruktion). Und das ist vielleicht der überzeugendste Hinweis darauf, wie ähnlich sich diese Kulturen sind. Denn die Griechen haben von den Ägyptern nur aus Versehen gelernt, sie nicht bewundert oder bewußt auf sie rekurriert. In einem gewissen Sinne also haben die Ägypter durchaus eine historische Vorgängerkultur, nämlich eine, die sie sich mangels Realität selbst geschaffen haben.

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Beitrag von Leser Mi Jul 26, 2017 2:22 am

Wobei innerhalb der Trinität der Oberbegriff "Antike" ambivalent verbleibt. Die orangene Epochenkurve (auf der Rückseite der letzten Falttafel) mit den Doppelbezeichnungen Archaik/Königtum, Klassik/Republik etc. scheint mir ebenfalls eine wichtige Unentschiedemheit für Sie gewesen zu sein, aus der Sie aber - das erstaunt mich gerade - erst die Trinitätskurve herleiteten. Klar, in der obigen Kurve (Ihre verbesserte Weltkulturenfunktion) ist es dann so konstruiert/dargestellt, dass die grüne Kurve mit der roten aufaddiert und dadurch allein den allgemein antiken Kulturpeak sichert. Eigentlich liegen dieser Summierung zwei rote Epochenkurven zugrunde (Klassik/Republik), die sich im Antikenbegriff als Einheit verkleiden - epochal also auf gleicher Höhe mit den Kulturmitten Ägyptens und des Abendlandes - und durch die elegante Lösung einer Weltgeschichtsfunktion darüber hinwegtäuscht. Und das alles, um an die unbedingte Identität mit Ägypten feszuhalten.

Auf der Ebene der beiden antiken Kulturen klafft es dann hinsichtlich der Zeitachse. Die epochale schneidet bei 450 und 350, in Rom bei 500 und Christi Geburt. Das weicht natürlich die merkwürdige Exaktheit der 6,25 Quadrate auf. 300 - das ist ja schon tiefster Hellenismus, der aber völlig unbeirrt die republikanische Zeit Roms als das alleinige epochale Argument für den symmetrischen Wechsel auf Kulturebene bestimmt.

Mit den Spekulationen über untergeganene Reiche und ihre Trugbilder verwundern Sie mich nun völlig! Dann verflüssigt ja alles. Nein, nein! Diese geschichtsphilosophische Unschärfe lasse ich diesmal nicht durchgehen. Da bleibe ich hartnäckig. Nach Ihrer Formulierung zu urteilen, soll Ostrom nun doch das Griechentum in sich, nach Einverleibung durch den Giganten, hegelisch aufbewahrt haben und dann wieder - vom Zwange befreit - original griechisch gelebt haben? Da scheinen mir Spenglers "Probleme der arabischen Kultur" stichhaltiger, wie auch Byzanz als mürbe, kraftlose Restzivilisation zu behandeln, in welchem Greisentum eine junge Ostkultur sich gehemmd verkleiden musste. (Da fällt mir auch nun auf, woher Spenglers Verirrungen herrühren: es sind Minipseudomorphosen und das Gefühl für dieses sein abendländisches Problem fand er bei den Arabern, die sich gänzlich in einer solchen auf größerer Ebene abmühten)

Es ist auch hier wieder der Punkt eingetreten, wo sich Entschluss einer Seele und der der Zeit feindlich gegenüberstehen. Ob nämlich verschiedene individuelle Entschlüsse sich gegenseitig in "ihren" Zeiten abtöten können oder ob "die" Zeit es ist, die magisch den Lauf der Geschichte, das der Inkarnationen ihres Willens Gefügige, bestimmt. Mit anderen Worten, ob der Kampf ums So-im-Dasein-werden ein allerpersönlichster sei oder nicht.

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Beitrag von ThWangenheim Mi Jul 26, 2017 7:25 pm

Bezüglich der orangen Kurve "Antike Epochen" verstehe ich Sie nun wieder nicht. Diese Kurve ist nichts anderes als die beiden identischen grünen "Ägyptische Epochen" und "Abendländische Epochen". Nur da die Epochen in Rom und Hellas eben nicht gänzlich übereinstimmen (zumindest in der Spätzeit und mit den üblichen geschichtswissenschaftlichen Perioden in Benutzung), werden die Bögen doppelt benannt.

Die Kurve oben ist ja nichts anderes als ein Nebeneinander der drei unteren die dann mit der langweilligen Kulturkurve addiert wird. Es hängt also an diesen drei identischen Epochenkurven, nicht bloß an der zur Antike. Insofern verstehe ich Ihre Argumentation nicht. Denn es liegen der Gesamtkurve nicht etwa eine Verdopplung der antiken Kurve zugrunde, wie Sie zu denken scheinen. Die Überhöhung der Antike ergibt sich nicht aus einer Verdopplung der antiken Epochenkurve, sondern ganz fraktal und simpel dadurch, daß die Kulturmitte der Klassik/Republik sich mit der Kultur der Antike als ganzes (das ist der mittlere Hügel in der langwelligen schwarzen Kurve oben auf der Seite) addiert. Und so lautet ja auch die Argumentation im Buch immer: Die Kultur der Antike und die Kultur der klassischen Mitte der Antike fallen zusammen und ergeben so den höchsten kultischen Moment. Ich bin etwas bestürtzt, daß Sie das übersehen.

Wie ich schon bezüglich der antiken Kulturen sagte: Die Frühzeiten sind identisch (konstruiert) und nach hinten heraus haben Sie recht, dürfen aber wie gesagt auch die Tatsache nicht vergessen, daß obwohl die griechische Kultur als früher untergegangen erscheint sehr wohl bis weit nach 1000 nach Christus in Form von Byzanz fortlebte. Ich will damit nicht Rom und Hellas auch in der Späte parellelisieren, aber es gibt doch zu denken. Immerhin ist die Renaissance nicht wenig von den Flüchtlingen aus Byzanz geschwängert worden. Und Hellas ist sogar ebenfalls derart in Rom aufgegangen, daß noch die Intellektuellen des 3. Jh. n. Chr. oft noch/wieder aus dem griechischen Osten kommen. Insofern habe ich gar nichts dagegen, das alles zusammenzufassen als eine griechisch-römische Gesamtkultur, sodaß es ein spätrömisches Griechenland gibt. Und das war es ja machtpolitisch auch.

Aber das alles hängt ja ohnehin bloß an der Frage der exakten Zeitpunktbestimmung aus der "Weltgeschichtskurve". Daß diese witzige Genauigkeit der Kulturmitten mit 1800 Jahren Abstand besteht, würde ich nie als ernstzunehmendes Argument für die Richtigkeit dieser Kurve heranziehen. Sie stellt etwas ganz im allgemeinen dar und lebt nicht davon, daß sie exakte Zeitpunkte bestimmt. Ich habe nie argumentiert, daß Kulturen eine gewisse Länge haben. Insofern sehe ich mich nicht genötigt, diese Differenz der Kulturlängen zu bekämpfen oder in mein System einpassen zu müssen, da mein System dergleichen nicht verlangt. Nur die mathematische Darstellung verleitet dazu. Aber diese komplett ausgetilgt, würde die Argumentation des Buches ja nicht an einer Stelle wanken lassen.

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Beitrag von Leser Mi Jul 26, 2017 9:35 pm

Ja, das ist mir bewusst. Ich habe gewissermaßen die Frage aufgeworfen, ob Ihr "Problem der Antike" wirklich das entscheidende an dieser Sache ist. Unser Verhältnis zu den Alten - schön und gut. Man möchte aber meinen, das eigentliche Problem besteht zum Verhältnis zu unseren Alten, den Ägyptern sozusagen. Es ist ja ein völlig neuer Aspekt, die Ägypter in die Nähe - was sage ich! -, in vollständige Symmetrie - zum Abendland zu stellen. Das ist völlig neu. Dies doch eine Einsicht - jene "langweilige" (ganz und gar nicht langweilige, sondern beinahe wichtigste Kurve für das Gesamtwerk - "Eine fraktale Geometrie der Weltgeschichte" oder dieser Trinität, wie Sie ja jetzt auch sagen), von eigentlich noch unbewiesenem Stück Theorie: Ob sie nämlich auch diesen intimen weltgeschichtlichen Wechsel für andere Trinitäten darstellt, ob es überhaupt andere gewichtete Trinitäten gibt. Zwei Punkte, eine Linie, ein Beweis auf der weltgeschichtlichen Ebene. Ansonsten dürfte man auch den Zusammenhang Ägypten-Abendland völlig ausklammern, würde dann aber den wichtigen (wichtigsten!) Aspekt der symmetrischen Wiederkehr von frühem und spätem Ingenium in Kauf nehmen. Denn dies soll Großväterkultur doch bedeuten: Im Abendland kehrt das Ägyptertum wieder, sie spiegeln sich unvermittelt an der Antike wider. Das Abendland sei das späte Ingenium der Ägypter, das Symbol der Mumie ein intimer Ruf durch die Jahrtausende.

Ich widerspreche nicht. Ich fordere den Beweis! Oder: Das System ist noch nicht vollständig - nicht in jenem Sinne des Unvollständigkeitssatzes, denn auf der Ebene der Weltkulturen dürfen wir tatsächlich stehenbleiben und aufatmen. Aber dafür bräuchte es einer Referenz von selbiger Konzeption. 1. Kultur: Frühingenium - 2. Kultur: kultische Mitte/Zwischenzeit (Die Antike als eigentliche "Zwischenzeit" ist mein Indiz darauf, dass es in KuI nie "Das Problem der Antike" war, was entschied) 3. Kultur: Spätingenium. Dieses theoretische Konstrukt erneut ausfindig zu machen, eine Linie zwischen zwei Trinitätspunkten ziehen, wäre erst der gerechtfertigte Beleg für die Weltgeschichtskurve. Ansonsten sind das hübsche Dichtungen (ich bin selbst fast in Dichters Tiefen versinkt, als ich eben mit dem Symbol der Mumie daherkam. Ich konnte mich zum Glück bremsen!)

Ein Gegenstandpunkt wäre freilich, wenn Sie stipulierten, diese Trinität ist Weltgeschichte, auf diesem (fraktalen) Niveau brächte es bisher keine andere (Trinität). Allen anderen Hochkulturen fehle der Aspekt der Welt, das späte Ingenium der Ägypter aber beherrscht sie, ist Weltgeschichte. Das wäre eine starke Position und ich könnte mich mit ihr beinahe abfinden. Damit ist der Relativismus Spenglers vollständig... ja, was eigentlich? widerlegt?

Ich schließe daraus, dass, wenn Spengler in Kulturentitäten dachte, Sie an einer einzigen Weltkulturentität denken. Und nach allem, was ich von Ihrem Zukunftsgefühl auf Weltebene zu wissen meine, scheint das so ganz richtig zusammengefasst. Man könnte sagen, sie fundieren das Spenglersche Thema vom jähen Fall und nur noch zukünftigen matten Nachzügler auf apokalyptischen Tiefen der Weltgeschichte, die in Ägypten begann und mit dem Abendlande dies vorbestimmte Schicksal erfüllt. Seien Sie nun aber nicht bescheiden! Dann braucht es wirklich keiner Extrafunktionen für andere Trinitäten mehr, denn diese spielen gar nicht in der selben Liga! Selbst über den vermeindlich gleichen Sport ließe sich streiten.

Nehmen wir einfach an, das sei so richtig. Nehmen wir sogar noch jenen Zivlisationsbegriff von Spengler hinzu, oder lieber noch den des erloschenen Fellachenvolkes. Spengler sagt irgendwo in Uda in bezug auf die Römer, nicht sie seien militärisch besonders feil organisiert gewesen - nicht in solchem Grade, um andere "fitte" Nationen in solcher Überzahl zu bezwingen - sondern die antike Welt lag als Beute bereit. Sie referieren ähnlich auf diesen Aspekt: Das Wort Roms entschied über Leben und Tod, so weich waren die Feinde, die im Grunde ihrer Seele keine Feinde sein wollten. Man könnte diesen Aspekt auf Weltebene projizieren. In gewisser Hinsicht haben Sie das auch mindestens impliziert.

Hier möchte ich anhalten und Ihre Meinung hören. Mir ist gar nicht danach, Ihre Argumentation wnaken zu lassen. Oder besser: mir ist danach, mit vorläufiger Kritik auf weitere Überschauungen zu stoßen.

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Beitrag von ThWangenheim Do Jul 27, 2017 1:26 pm

Das muß ich freilich zugeben, daß die Wiederkehr Ägyptens als Ingenium im Abendlande nicht übermäßig viel Raum bei mir einnimmt. Das tut mir selber leid. Allerdings liegt das, so trivial es klingt, daran, daß unsere Kenntnis zu den Ägyptern (und auch Mesopotamien) recht dürftig ist. Das bißchen, was wir wissen - und es ist heute nur in Details mehr als man bereits zu Spenglers Zeit wußte - habe ich verarbeitet. Etwa die Frage der Priester- und Fürstenherrschaft vs. Königtum, gewisse bautechnische Fragen, die Religionsproblematik natürlich und vor allem die Kunstgeschichte (d.i. Kap IX Das Verhältnis von Portrait und Plastik).

Detailliertere Fragen der politischen Geschichte, der Literatur, der militärischen Taktik oder gar der Musik können wir leider gar nicht diskutieren. Uns fehlt schlicht die archäologische Evidenz.

Und das ist ein bedeutender Faktor der Tatsache, daß tatäschlich das entscheidende Geschichtsproblem des Abendlandes sein Verhältnis zur Antike war. Und Sie gestatten den Hinweis darauf, daß ich davon in der Vergangenheit spreche: Es war.

Die Tatsache, daß es eben nicht die Ägypter waren, zu denen wir uns ins Verhältnis gesetzt haben, liegt ja in der Wechseltheorie auch gut begründet. Denn jeder sucht, sobald er sich in sich selbst ausgelebt hat, eben nach dem Fremden, nach dem, das ihm neu erscheint: das Andere. Jenes Wiederfinden, von dem zuweilen die Rede ist (etwa auf den obengenannten Seiten) ist wiederum ja eine Reaktion auf die Sattheit gegenüber dem Fremden, mit Hilfe dessen man vor sich selbst einst flüchtete.  Aber wenn dann das Alte wiedergefunden wird, so ist es eben durchaus nicht nebensächlich, ob diese Welt erst 500 Jahre, wie im Falle des Mittelalters und der Romantik verstrichen ist oder 4000 Jahre mit zwei Fellachenzeiten dazwischen. Das Bild ist einfach sehr verschwommen. Es würde ja auch, wenn es allzu offensichtlich wäre, nicht Gegenstand der Geschichtsphilosophie sein, die das erst entdecken müßte.

Ich verstehe nicht: Was genau wollen Sie bewiesen sehen?

Ich denke das ist offenbar, daß diese Dreiheit an anderer Stelle noch nicht da war und der Dreisprung also durchaus singulärer Natur ist. Es ist die größte je aufgetretene Entität historischer Bauart. Das heißt nicht, daß es andere Kulturentitäten nicht geben kann, zum Beispiel einzelne und Zweierreihen. Und oben habe ich ja schon Mesoamerika genannt, das sicher eine solche Doppelkultur darstellt. Insofern hat Spengler hier auch recht, wenn er sagt, diese Kultur sei abgeschnitten worden oder wie er sich ausdrückt. Vielleicht wäre es ebenfalls ein Dreischritt geworden...

Ja, durchaus, ich denke die Idee des matten Nachzüglers, die ja im Grunde Spenglers ganzem Kultursystem entgegensteht - dort können aus urweltlichem Boden ja immer neue Kulturen sprießen (wobei urweltlich heute kein Boden mehr ist, aber damit ist die Theorie des Ursymbols ja hinfällig) - ist viel besser in KuI anwendbar. Man legt eben eine Hüllkurve drüber und läßt es der Amplitude nach ausklingen. Im Fellachenstatus gibt es dann immer noch kleine Schwingungen, die aber mit Weltgeschichte natürlich nichts zu tun haben.

Ja, das ist in der Einleitung 13: Was die römische Weltherrschaft betrifft, so ist sie ein  n e g a t i v e s  Phänomen.

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Beitrag von Leser Fr Jul 28, 2017 2:46 am

Naja, eine Beweis fordern für eine Art transzendent historische Gemütsbewegung ist vielleicht übertrieben. Die Stellung zur Antike kann man durchaus problemlos "materialistisch" oder "psychologisches" nachweisen, da diese Kulturperiode durchaus stets präsent war für das Abendland. Für das Ägyptertum muss es also spekulativ bleiben, da haben Sie natürlich recht.

Ob diese seltsamen Menschen - Sie erwähnten das Turiner Königspapyrus - mit ihrer Veranlagung zu historischen Erfindungen auch eine Zukunft fühlten, eine Nachwelt, denen sie sich offenbaren wollten? Eine Art historisches Heil der Seele im Sinne nicht des eigenen religiösen Glaubens, sondern das dieser selbst noch Symbol für den Ruf in die Ferne, der Offenbarung, Sendung, für ihre "Kinder" - für uns. Das wäre möglich und es würde ein immenses Realitätsbewusstsein dieser alten Hochkultur nahelegen. Jedenfalls wüssten wir noch weniger, wenn es nicht die umfangreiche Hieroglyphenbilder gäbe, die Bauwerke selbst, die konstruktionsbedingt diese Schätze auf Jahrtausende aufbewahrt haben, gewissermaßen auf Entdeckung, Offenbarung drängten. Dass sie trotz der Fellachenzeiten gefunden werden konnten - da sprechen Sie einen wichtigen Aspekt an - ist natürlich ein wechselseitiger Vorgang ("wechselseitiger Vorgang" drückt das sogar ziemlich exakt aus; die zwei Seiten des einen Wechselzustandes dazwischen),

Ich weiß es ehrlich gesagt einfach nicht: ist ein geschichtsphilosophischer Bezug zu den Ägyptern schon öfter hervorgebrochen? Oder gehört es nicht in eben jene späteste Spätzeit des Abendlandes erst, dass man "sich" nun ganz und gar selbst wieder durch das "Andere", was ja keines wirklich ist, sucht. Sie meinen, der Sattheit vom Atheismus und gleichzeitig der Sattheit des Glaubens am alten Gotte folgt die Sehnsucht des Verstandenseins durch die Großväter?

Ich merke, ich bin nicht mehr ganz KuI-fest. Sehr viel Spengler in letzter Zeit gehabt, denn sonst wäre mir der Aspekt der Gottosigkeit, die man auf den ersten Seiten ja schon findet, besser in Erinnerung geblieben und freilich hätte ich nicht vergessen, dass das "Problem der Antike" dem Überwundenem anzurechnen sei. Sehen Sie, man vergisst und erinnert - sobald die eigene Lebenserfahrung diese Vorgänge reguliert - sehr selektiv, wie Sie ja nicht sehen müssen, sondern wissen - den Sehnsüchten entsprechend.

Zurück aber zu den Ägyptern, mein Gefühl ist noch durchmischt genug, um auch dieses geschichtsphilosophische Thema anzunehmen. Kein Entweder-Oder. Derweilen liebe ich dieses so fernliegende Thema. Man darf fantasieren, dichten, und sicb trotzdem mit exakt geprägten Wörtern schmücken, wie es "Kultur" und "Ingenium" sind. Vielleicht dürfen Sie bald wieder eine besser vorbereitete Nervensäge beglücken Smile

Also jetzt zurück. Wie schon etwas erläutert, interessiert mich der visionäre Blick der Ägypter - Spenglers Ursymbol vom Weg passt sogar außerordentlich gut für das, was man allgemein unter "Frühes Ingenium" fassen sollte - auf ein gefühltes Ziel hin. Als Kultur in ferner Zukunft also von einer Nachkommenschaft entdeckt und wiedergefunden zu werden, Fortpflanzung, inneres Verstehen, "exakte sinnliche Phantasie" wenn man mag! Wenn der antike Mensch seine Gegenwart und Leiblichkeit einem präsenten göttlichen Olymp darbot und darin erfüllt aufging, so war es bei dem Ägypter ein sehr klar gefasstes historisches Wachsein, welcher seinen religiösen Vollzug - Anhaltspunkt ist dabei immer die extreme präzis ausgebildete Pedanterie in allen Verewigungsprozeduren - als Anstoß dieser Weltkulturentrinität abfasste. Es ist viel zu materialistisch ausgelegt - z.B. der Bestattungskult, aber auch, ich möchte Spengler korrigieren, die Liebe für den Stein! -, daß es als Symbol durchaus vom religiös-abergläubischen Gehalt gesondert betrachtet werden sollte, nämlich auf ein Ziel hin drängend, dass sehr wohl "von dieser Welt" ist. Derweilen stärkt mich das in meiner früher schon vorgebrachten Position, der Monumentalbau der Ägypter ist von der Funktion der Dauer her tausendfach wichtiger, als das Aufsteigen in pyramidal gestapelte Höhen - das wäre auf Weltkulturebene bloß ein Oberflächenphänomen. Gesetzt, dieses historische Bewusstsein auf Weltkulturebene bestand durchaus, so sind diese Wahnsinnsbauten nie nur vom Ägypter aus zu verstehen, sondern als Symbol der Sehnsucht zur Anerkennung eines späten Weltingeniums, auf einen (präzis) vorgestellten Menschenschlag - wieder Goethes "exakte sinnliche Phantasie"- also von uns aus. Wer sich da nicht verrechnet, für den ist der Fellache die Oberfläche schlechthin. Aber die Sehnsucht nach Angehörigen des Spätingenen - im sich manifest machen in unendlich Vergangenem - erfülllt sich mit dem frühingenen Drang nach einen solchermaßen berufenen Erben dieses Schicksalsweges.

Da haben Sie recht mit den Nachzüglern. Ich glaube jedoch, das ist ebenfalls als "negatives Phänomen" gedacht, insofern aber mit einer Hüllkurve sehr gut einfangbar, da es sich im Grunde um eine Privatangelegenheit - für Spengler das dritte Christentum der Russen also -, keine weltgeschichtliche mehr handelt soll. So, wie die Türken sich verhalten, kann ich mir ein russsiches Konstantinopel sogar vorstellen. Jerusalem ist eine andere Geschichte. Nun, obwohl die Phariasäer ja wieder dort siedeln. Ich scherze natürlich nur rum.

Vielleicht ist jede kulturübergreifende Entität etwas durchaus negatives. Ich meine auf Erschöpfung der Umgebung hin irgendwie ausgerichtetes. Das schließt die Isolation natürlich auch ein, was der Spekulation über Mesoamerika natürlich bestärkt. Allein sie waren nicht schnell genug. Pech gehabt. Insofern kommt auch dieser merkwürdige Ägypter nicht von ungefähr. Da muss ein Leerraum gewesen sein, den dieser Mensch genial beseelt ausnutzen konnte. Jedes Hervorbrechen eines frühen Ingeniums verweist auf eine ideal ausgenützte Gelegenheit - helfen Sie mir, ich suche ein Antonym für "Katastrophe"! Man sollte es als geschichtsphilosophischen Begriff einfühhren.











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Beitrag von ThWangenheim Fr Jul 28, 2017 6:31 pm

Das ist bestimmt nicht falsch, daß Sie Spengler nun nochmals lesen. Als ich vor ein paar Tagen Ihre Zitate aus der Einleitung sah, da habe ich mir auch noch einmal das eine oder andere angehört (das ist der Vorteil des Lesemuffels, der ich bin, wenn man es einmal eingesprochen hat). Übrigens waren das so ziemlich auch meine Lieblingszitate.

Und Spengler beantwortet uns just dort auch, wie emminent ins Zukünftige angelegt die Ägtpter waren: Als ein grauenvolles Symbol dieses Willens zur Dauer liegen noch heute die Körper der großen Pharaonen mit kenntlichen Gesichtszügen in unseren Museen. Welchen Beweis braucht es noch? Das ist auf den Punkt gebracht. Hier ist sicher noch das "Abendland", das Westland, das Land der untergehenden Sonne zu nennen, wovon die Ägypter glaubten, daß die Toten und auch der Sonnengott des Nachts gehe. Das war die Wüste im Westen.

Aber hier drehe ich Sie wieder um: nicht "konstruktionsbedingt auf Jahrtausende bewahrt", sondern weil man exakt das beabsichtigte und die Konstruktion entsprechend wählte. Nicht, daß man sonst filigraner gebaut hätte. Sondern insofern - und hier will ich noch klar stellen, daß ich auf den Höhendrang nicht mehr Wert lege als auf den der Monumentalität, die (hier tatsächlich) konstruktionsbedingt in eins fallen - das Monumentale, Große, Ausgedehnte in jeder Dimension (einschl. der Zeit) zugleich auch immer das Überdauernde ist. Und das ist ein schöner Begriff, den Sie das nennen: Das Wechselseitige. Insbesondere das wechselseitige, also beidseitige Bohren nach Erfahrung (Vergangenheit) und Wirkung (Zukunft), so wie in einem Tunnelprojekt von beiden Seiten des Berges aus gegraben wird, so haben die Ägypter in die Zukunft gearbeitet und das Abendland in die Vergangenheit - am Ende trafen sie sich. Eine Liebesgeschichte.

Meyer macht zwar geschichtsphilosophische Bemerkungen auch zu Ägypten, etwa zu den Umfängen der Königsdynastien, aber nie kulturübergeifend in dem Sinne, daß verschiedene oder ähnliche Kulturseelen vorherrschen. Breysig hat alles stufenartig gesehen, da kommt Ägypten auch nur als erste Stufe vor. Ligeti/Bauer "Zeitgeist und Geschichte" habe ich nur bezüglich der ägyptischen Plastik gelesen, sehe ich gerade, aber er beginnt mit der außergewöhnlichen Dauer der ägyptischen Kultur. Das Buch möchte ich Ihnen übrigens empfehlen. Max Otte hat es mir zur Kenntnis gebracht, weil er die Ähnlichkeiten von KuI und ZuG gesehen hat. Und als ich das Buch durchblätterte, war ich ganz entzückt, dort kommen nämlich sehr, sehr ähnliche Grafiken vor, wie bei mir. Allerdings, wie mir recht schnell klar war, geistig etwas durchaus anderes. Obwohl er indirekt, also unbewußt Fraktalität einführt. Das ist schon absolut erstaunlich.

Bei Chamberlain gibt es Ägypten praktisch gar nicht. Vollgraff kann ich Ihnen aus dem Kopf nicht sagen. Und da die Bände recht teuer sind, besitze ich sie auch nicht. Naja und Toynbee, Sie wissen ja. Auch da habe ich in meinem humoristischen Aufsatz ja eine Stelle zu Ägypten zitiert und kommentiert. Also nach meiner Kenntnis ist Ägypten immer stiefmütterlich behandelt worden. Das hat natürlich auch mit der Überstrahlung durch die Antike zu tun. Als Napoleon in Afrika war gab es mal einen Hype. Vielleicht findet man aus dieser Zeit etwas. Aber da ging es ja erstmal überhaupt um die Entzifferung der Hieroglyphen.

Die Sattheit vor der Wiedergeburt der Antike. Daher geht es ja mit Ägypten auch um 1800 los, als die kultische Frühe Neuzeit untergeht. die Sattheit vor dem eigenen Gotte würde uns wieder (wie am Ende der Gotik) in die Renaissance, ins Kultische führen. Sie wissen ja, das Ingenium ist von Ketzerei durchzogen. Auch und gerade im Mittelalter. Der Zweifel.

Übrigens genieße ich ausgerechnet diese selektive Erinnerung. Was Spengler z.B. mit Pseudomorphose meinte, könnte ich Ihnen gar nicht aus der Lameng darlegen. Eben weil ich es für nebensächlich hielt.

Was Sie über das Dichten zu Ägypten schreiben, sagte einer meiner Professoren immerzu von den Vorsokratikern: Das lieben die Studenten, weil nicht genügend Stichhaltiges da ist, können sie sich in etwas hineinfantaiseren. Das geschichtsphilosophische Analogon ist vielleicht Äygpten. Daher schreibe ich wohl auch so verhältnismäßig wenig dazu. Aber da hat jeder seine Vorlieben.

Sie haben recht, eigentlich war dieser Verewigungsdrang, der ja im Grunde (was man mit diesem Begriff aber nicht assoziiert) ein Zukunftsdrang war, auf etwas Weltliches gerichtet. Aber sie haben es durch die Religion ausgesprochen. Außerdem wird man nicht in Erwägung gezogen haben, daß es dereinst einmal Zeiten gibt, die das belächeln, wie es die Hellenen im Grunde taten, und irgendwann wieder Interessierte das Verschüttete aufgraben würden. Aber ich denke, Ihre Beschreibung der Adressierung und Annahme des Erbvertrages trifft es auf den Punkt.

Ich glaube jener Leerraum, von dem Sie sprechen, ist etwas ganz materialistisches, wie es Ranke ganz gut in seiner Weltgeschichte beschreibt. Das ist ja eigentlich nichts anderes als das Indusphänomen: Überschwemmungen, Fruchtbarkeit in der Wüste, der Stärkste oder überhaupt zur Nutzung des Bodens Befähigte besetzt diesen stragetischen Punkt und wird immer reicher, reicher, reicher: Kultur.

Nun, die Gelegenheit verweist auf den Zufall, den plötzlichen unerklärlichen Funken des Ursymbols. Aber Sie meinen wahrscheinlich den Begriff der Emergenz.

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Beitrag von Leser So Aug 06, 2017 1:07 am

Entschuldigen Sie die lange Pause! Man redet allerorts vom berüchtigten Sommerloch, von dem ich aber wenig merke. Nun habe ich wieder einen längeren Atem und damit auch Zeit für eine adäquate Antwort.

Ich denke, mit Spengler lässt sich der Zukunftsdrang der Ägypter nicht erklären. Das scheint vielleicht so, weil man die Trinitätsstruktur aus KuI hinzudenkt. Er selbst hätte aber niemals Dauer in Sinne von Zukunft/Schicksal gedacht, so wie die Ausgrabungen etc. im Grunde nur Zufälle des Abendländers seien - für den eminent geschichtlich angelegten Menschen also, der mit gleicher Begierde alles mögliche um sich her aushöbe. Jeder Rückschluss auf Spengler, so meine ich, ist eine Erweiterung des eigentlich von ihm Gesagten.

Man braucht eben den spezifischen Blick von KuI, um hier eine Liebesgeschichte zu schauen, für die Spengler nur das grauenvolle verstehende Unverständnis übrig hatte. Mag das auch bloß eine persönliche Charakterart vom Autor selbst sein, dem alles Fremde in letzter Konsequenz innerlich immer fremd bleiben musste. Ich erinnere nur an die vielen Stellen, an denen er halt macht und warnt: "Hier geht es nicht mehr weiter - auf den Sinn der Urworte, Ursymbole können wir nur morphologisch-vergleichend verweisen, eine Stelle im Entwicklungsverlauf mit einem Begriff belegen, der andeuten soll, dass dort jede Kultur ihre eigenen inneren Seelenzustände hineingeschrieben hat. Weiter kommen wir nicht." - Mit anderen Worten: Spenglers geschichtsphilosophische Unschärferelationen sind viel ausgeprägter als in KuI. Die Unschärfe ist das eigentliche Kernstück seines Konstrukts, denn die zweite wiederkehrende Mahnung seiner "Kopernikanischen Wende" lautet ja, dass jede wirklich exakt-begriffliche Bestimmung im Faustischen verbleibe, also keine echte Wende mehr sei. Das hat etwas Leidvolles an sich. Ausgeschlossen ohne Hoffnung auf Eintritt und gleichzeitig den inbrünstigen Wunsch bis in den Grund dieser Kulturen Seelenkenner zu sein. Bis zur Verzweiflung. Dem Abstand, den Spengler fordert, nachzukommen, ist eine infinitesimale Selbstverneinung - für ihn selbst eine Läuterung, Reinigung und vielleicht der stille Untergrund seines entpersönlichten Realistenblickes. Ganz im Sinne Nietzsches, der mal meinte, man müsse erst von sich absehen lernen, um überhaupt sehen zu können.

Das sind mir keine passenden Worte. Ich meine ein Wort, welches mit der folgenschweren Bedeutung schwanger ginge, die Spengler für die kosmischen Katastrophen einführt, aber eben mikrokosmisch-weltgeschichtlich dem Range nach diesem Wunder sich annähere, dem wir ja selbst sozusagen unser historisches Dasein verdanken. Zufall, Emergenz, unerklärlicher Funke - vielleicht verlange ich zu viel, wenn ich nach einer festen Bestimmung suche, die nicht religiös, sondern rational und dennoch den Anstoß dieser weltgeschichtlichen Trinität festhält. Auch hier kommt man mit Spengler nicht weit. Wie hoch müssen diese Ägypter gedacht haben, um einen so gewaltigen Zukunftsdrang gespürt zu haben? Einen, den ebenfalls Nietzsche so herrlich im Zarathustra in einem Spruche zusammenzog, der auch meinen (nicht aktiv weiterbetriebenen) Blog schmückt: »Die Zukunft und das Fernste sei dir die Ursache deines Heute«. Spengler denkt zu klein, wenn er nur den "Hass auf den Stein", die Schrift als das Gewordene und damit erstarrte, tote sieht - "gebannte Geschichte". Nein, die Weltgeschichte scheint dort erst geboren worden zu sein! Vielleicht hängt sogar die transzedente Vorstellung eines weltgeschichtlich spätingenen Gottes mit der sehr körperhaften, periodischen Naturreligion der Ägypter zusammen. Auch hier als das wechselseitige frühingene Spiegelbild.

Hier werden Sie mich vermutlich wieder umdrehen wollen, da ich wieder versucht habe es andersherum zu fassen. Nämlich ob es "an der Zeit" gewesen sei, dass die Ägypter auftauchten, die Zeit den Anstoß gab, die Zeit Weltgeschichte in jenem Trinitätssinne gebar. Der Gedanke an die Hohengefühle dieser Menschen macht mich so eifersüchtig, dass ich glauben möchte, dass dieser Anstoß menschengemacht, ganz und gar nicht Schicksal, sondern im Gelingen eines zufälligen Wollens erst Schicksal wurde. Dass dahinter doch auch der Entschluss und der Sieg einer Seele stand, dem die Zeit vielleicht als dienliches Werkzeug bereitstand, katalysatorisch das Unwahrscheinliche wahrscheinlicher machte und doch offen war. Sie würden aber sagen, der Mensch ist das Werkzeug der Gezeiten. Es ist so schwer sich das Ägyptertum vorstellig zu machen, da sie tatsächlich aus dem Nichts gekommen zu sein scheinen. Mit Ihren Königskonstruktionen, ihrem Drang in die Ferne. Woher dieser Drang, wovon waren sie denn satt? Waren sie überhaupt satt? Wir kennen das erste historische Gefühl der Sattheit aus der Gotik, was aber weltgeschichtlich ein spätingenes Phänomen ist und auf die Kulturmitte abzielte. Aber wie muss man sich das Gefühl vorstellen, welchen den Ägypter ergriff und also fraktal das weltgeschichtliche Phänomen ("Hüllkurve") auf eine höhere Stufe zu heben befugte? Das Problem des Anfangs ist hier mein Problem nach der Suche eines passenden Begriffs, der mehr bedeuten soll als Emergenz. Können Sie das nachvollziehen? Ins rechte Licht gerückt ist auch Katastrophe ein Euphemismus für den totalen Kollaps einer einzigartigen emergenten Struktur, die wir nun Weltgeschichte nennen.

Ich danke Ihnen für die minutiöse Darlegung Ihrer Kenntnis über frühere Bezüge zu den Ägyptern. An die Grafiken aus ZuG erinnere ich mich noch. Die haben Sie mir mal zugeschickt. Der Herr Otte scheint ja ein sehr interesser Mann zu sein. War auch in den Talkshows immer der Kompetente. Auch einer der wenigen, die offen zu Trump sich bekannt haben. Ist er nicht sogar amerikanischer Staatsbürger?

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Beitrag von ThWangenheim Mo Aug 07, 2017 10:15 pm

Ich bin mir nicht ganz sicher, was sie in Ihren ersten beiden Absätzen meinen. Mir scheint, es läuft für Sie auf den Widerspruch hinaus, daß sich einerseits die Kulturen im System Spengler nicht erkennen können, sich fundamental fremd sein sollen, andererseits aber p.d. in jeder Geschichtsphilosophie der Drang nach dem Verstehen, gewissermaßen dem Freundwerden steckt, worin freilich ein merkwürdiger Widerspruch übrigbleibt.

Sehen Sie, das ist ja, wie es aus Ihrer Darstellung plastisch hervorgeht, das Schöne an jeder Theorie, die auf Verständnis aus ist und nicht auf Mystifizierung. Spengler mystifiziert, das kann er ausgezeichnet, und es ist nicht wenig beeindruckend. Aber der Mythos bringt uns die Tatsachen nicht näher, sondern rückt das, was wir verstehen wollen, noch weiter fort. Deshalb bleibt bei Spengler der Eindruck, die Antike könne von uns niemals verstanden werden. Auch diese Isolation trägt zur tragischen, ja beinahe traurigen Gemütsverfassung des UdA bei. Und freilich hat das seinen Reiz. Aber wieviel größer ist der Reiz, jemandem, der glaubte, nicht verstehen zu können, sagen zu dürfen: Du verstehst ganz und vollkommen! Search your feelings, you know it to be true.

Wenn wir die Wiederkehr des Immergleichen annehmen, dann verstehen wir sehr wohl. Das ist natürlich auch das Weltverständnis schon bei Goethe. Es gibt sogar eine Stelle aus den Wahlverwandtschaften, da könnte man glauben, der Kerl hat KuI gelesen. Wenn Sie mögen, suche ich es heraus.

Da haben Sie einen entscheidenden Punkt freigelegt. Wenn Spengler von Ägypten spricht, dann von seiner Erstarrung, also etwas Entwicklungsunfähigem, weil Festgesetztem. Es klingt im Grunde sogar rückwärtsgewandt. Aber die Bewahrung von etwas für die Zukunft ist eben Zukunftsdrang. Wir sehen ja heute, daß jene, die sich für besonders fortschrittlich halten, nie etwas zur dauerhaften Übertragung in die Zukunft tun. Die Modernen sind immer nur Zerstörer. Sie haben noch nicht einmal Interesse, ihre eigene Zeit für die Zukunft zu bannen. Sie sind nur im Jetzt. Wer dagegen das Jetzt für die Zukunft konserviert ist im eigentlichen Sinne zukunftsorientiert.

Ihr Begriff der Eifersucht ist hervorragend gewählt. Ich glaube zu verstehen, was Sie meinen. Doch worauf wir in der Vergangenheit eifersüchtig und neidisch sind, ist meist - so meine Erfahrung - einfach das Ergebnis der Umstände. Es ist weniger die bewußte Tat, als das unbewußte In-der-Zeit-Sein, ein "der Zeit genügen", "von der Zeit erwählt sein". (Was mich natürlich an den Schluß der Einleitung mahnt)

Ich könnte Ihnen natürlich auf Ihre Interessante Frage, wie man sich das Weltgefühl der frühen Ägypter vorzustellen hätte, einfach antworten: Es gab durchaus Sattheit. Denn die Schwingungen sind immer da, wenn auch mit sehr geringen Amplituden. Aber darauf zielt Ihre Beobachtung nicht ab. Das ist ein großartiger Gedanke, und mir ist auch gleich die, wie ich glaube, recht illustrative Antwort in den Sinn gekommen:

Das Problem, auf das Sie aufmerksam machen, und von ganz entscheidender Bedeutung ist, kommt nämlich im Grunde in jedem Umschwung der Gemütszustände vor. Die Kulturen sind aber derart groß, daß die Leerlaufzeiten (gleich mehr dazu) viel größer sind. Nehmen Sie die Zeit zwischen 500 und 800 n. Chr. Das ist eine solche Leerlaufzeit. Aber wir brauchen keinen neuen Begriff dafür. Sie entsinnen sich der Seiten 22/23, oder auch S. 421/422. Diese Leerlaufzeit ist nichts anderes als tiefes Ingenium, tiefes Atemholen. Weil wir aber in den Grafiken immer bloß das Kulturhafte (im Sinne der ursprünglichen Bedeutung von Kultur, also einer historisch faßbaren Zeit hoher Kunst, Religion, Technik usw., eben Hochkultur) darstellen wollen, und nicht das Fellachendasein mit einem extrem tiefen Ingenium repräsentieren, lassen wir die Kurven für Zeiten ohne Hochkultur auslaufen. Wir stellen also die Höhe der Kultur durch die Amplitude dar.

Wenn man es genau nimmt, hat das aber nichts mit der Tiefe des Ingeniums und der Höhe der Kultur zu tun. Hochkultur ist gewissermaßen das Ausdrucksmittel für die Gemütsschwankungen des Menschen. Und diese erzeigen sich in zwei Zuständen, die wir mangels besserer Einfälle Kultur und Ingenium nennen. Legten wir diese Hüllkurve nicht darüber, hätten wir tatsächlich komplettes Rauschen über die Jahrtausende vor uns. Und die Gefühle mögen dagewesen sein, aber kein Informsein, keine Hochkultur, um diesen Zustand auszudrücken. Und da sehen Sie freilich schon, daß das am nächsten an der Realistät ist. Es rauscht eben. Aber wir wollen ja das Phänomen Kultur sehen. Sie verstehen.

Mittelalter oder das Abendland als ganzes sind ja im Grunde ingen überformte Kulturen, also Kulturen mit einem tiefen Einschlag der Besinnung. Man könnte, wenn ich so darüber nachdenke, eine Kurve zeichnen, die jene Doppeldeutigkeit des Begriffes Kultur einebnet, indem tatsächlich Ingenium als ein niederer Kulturwert verstanden wird (was die Gleichwertigkeit der Zustände aber unmöglich gemacht hätte), d.h. die Schnittkurve durch die Wasserwellen beim Hineinfallen eines Steins oder die Helligkeitsamplituden einer Doppelspalt interferenz: http://www.didaktik.physik.uni-erlangen.de/quantumlab/Interferenz/Doppelspalt/Theorie.jpg. D.h. nicht Schwingung um eine Nulllage, sondern Aufbäumen vom Boden her. Auch mit solchen Kurven erinnere ich mich hantiert zu haben. Aber sie werden verstehen, daß diese nicht besonders deutlich das Reinzyklische zeigen, was wenig illustrativ gewesen wäre.

Und nun ahnen sie es schon: Satt war man vom Ingenium. Und zwar dem extremsten Ingenium, das man sich vorstellen kann (ohne Hochkultur zu sein): Fellachentum. Man war satt vom bäuerlichen Dahinleben, vom In-den-Tag-Hineinleben, vom bedeutungslosen Dasein. Und insofern haben Sie auch völlig recht, es bedurfte eines menschlichen Willens, des genialen Gedankens aufzustehen und loszumarschieren (S. 25), einer Idee, einer Vision von der besseren Zukunft, was wiederum freilich immanent religiös ist.

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Beitrag von ThWangenheim Mo Aug 07, 2017 10:18 pm

Ja, Otte hat die US-Staatsbürgerschaft. Er ist sicherlich ein interessanter Mann. Aber wirklich warm geworden bin ich mit ihm nie.

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Beitrag von Leser Di Aug 08, 2017 2:36 am

Ja, Sie verstehen das schon richtig. Ich nahm die Position Spenglers ein und da heißt es ja: "Weltgeschichte ist unser Bild". Es wäre also einerlei Freundseinwollen und echtes Können. Aber so tief wollte Spengler auch nie graben. Man stelle ja bloß den Anspruch hinter den beiden Titeln ins Verhältnis! "Untergang des Abendlandes" und "Kultur und Ingenium". Ich muss meinen Absatz daher etwas nachjustieren. Spenglers seltsame Verneinung und Relativismus war kein Ziel, sondern der Weg zu einem rechten Ja, zum Verständnis der eigenen Altersstufe und den nun noch nicht verwirklichten Möglichkeiten dieses Kulturkörpers. Es ist also eigentlich falsch von mir zu behaupten, Spengler wäre tragisch am Fremden abgeprallt, sondern diese ganz vergeistigten Zeitreisen in die großen Schicksalswendungen vergangener Kulturen haben ihn - übrigens durchaus fraktal, wie ich gleich noch ausführen möchte - durchleben lassen, genug, um das "engere Thema" - Vollendung - auszuhalten. Auf den Punkt gebracht: Für das Spenglerprogramm bleibt das unaufgedeckt Mystifizierte einfach deshalb verschleiert, weil es ganz und gar uninteressant war. Alles, was ihn und seinen Kreis aber persönlich bewegte, findet sich im UdA.

Und hier kommt die Fraktalität ins Spiel! Fragen wir uns doch, woher Spenglers Interesse für die arabische Kultur? Warum ist das so ein Problem für ihn? Pseudomorphose - um Gottes Willen! Was will der Kerl damit? Und Russland? Sein fantastisches Bild vom "echten Russen", Petrinismus und Tolstoj gegen drittes Christentum und Dostojewski. Meine Güte! Nein, auch das sind zeitbewegte, ihn beherrschende Symbole für - so meine ich jetzt herauszulesen - Deutschland. Jene verspätete Nation, die für ihn immer vor der Alternative Sieg oder Vernichtung gestanden habe. Das ist echte Pseudomorphose. Mit gleicher Eindringlichkeit beschwört er arabische Fürsten wie die großen Deutschen. Aber alles in einer Schicksalszyklik, die durchaus insgeheim differenziert zwischen Wiederkehr der Immergleichen auf der Ebene der großen Hochkulturen - Pseudomorphose der Arababer - und in jenem Falle Spenglers Deutschland als Unterkategorie des Abendlandes. Ja, letztlich Spenglers selbstbiographischer Zug, der sich sicherlich auch selbst in einer von außen gehemmten Entwicklung sah.

Was ist deutsch? Was ist russisch? Was bin ich, Oswald Spengler? Dieser Weg der Selbsterkenntnis durch die Weltgeschichte hindurch trifft beim Begriff der Pseudomorphose eine äußerst sensible Stelle des ganzen Werkes. Rein oberflächig kennt man ja den sehr verschiedenen aussehende Kristallisation einer spezifischen Verbindung, wenn sie von einer anderen umschlossen worden ist. Jetzt bestand die Denkarbeit Spenlers also darin, das echte Bild dieses Kristalls herzuleiten, eine reine Entwicklung ohne den Störeffekt nachzuzeichnen und aufs Wesen zu stoßen. Das steckt hinter seinem Interesse für Pseudomorphose, gehemmte Hochkultur. Kristalle, die vielleicht sehr filigrane geometrische Formen rein für sich ausprägen - quasi die gotische Fassade einer Kristallverbindung - nimmt plötzlich in einem pseudomorphologichen Entwicklungsprozess kubische Formen an, strahlt in anderen Farben ab und nur eine sehr genaue Betrachtung ließe Rückschlüsse auf die eigentliche Gestalt der isolierten Verbindung zu.

Und zu der tatsächlich nachgelebten Pseudomorphose bei den Arabern und den Russen (und wenn nicht zu gewagt, dann auch Deutschland und Spengler selbst) stellt sich in UdA die rein intellektuelle Pseudomorphose der Gelehrten ein: Spengler eigentlich zum Fremdsein, dass alles Adaptieren ein Pseudoeinarbeiten des Alten sei, resp. der Antike, des englischen Privatmannes im preußischen Sozialstaat, des Postboten in Spenglers Genies. Vielleicht ein Wunderkind, welches erst zum Erlebniskind bedrängt wurde.

Ich möchte noch ein wenig mehr in der Spenglerperspektive verbleiben. Mir scheint das bisweilen fruchtbar für die Diskussion. Nun haben Sie ja die Weltgeschichtskurve angepasst. Und zwar so, dass die Kulturmitte der Antike höher schlägt als die des Abendlandes oder Ägyptens. Nehmen wir das also einmal ganz quantitativ auf und übersetzen es in Gemütslagen. Wir sehen, es bleibt ein unbewältiger Rest, nämlich die abgezogenen Differenz dieser Werte übrig. Für Spengler wäre das also ein quantifizierter Beweis einer unüberbrückbaren Kluft zwischen Antike und Abendland - und zwar nur auf weltgeschichtlicher Ebene, um die es ja Spengler allein ging! Mit Spengler würde ich also frech stipulieren: Alles, was wir der Antike nachfühlen, sind wir selbst in Pseudogewande und alles außerdem ist unbewältigbarer Rest, das echt antike Lebensgefühl. In bezug auf die antike Hochkultur kann man von umschlingenden Ingenien noch frecher behaupten: Dem weltgeschichtlich überlagerte Ingenium und seinem Bewegungsdrang liegt der Friedmansche Gedanke vom failed state, der gescheiterten Künstlichkeit antiker Kultur zugrunde ("If a private venture fails, it’s closed down. If a government venture fails, it’s expanded."). Die Ingenien strecken die Zeit.

Abgesehen von diesem kleinen Scherz am Rande bleibt doch eines offen. Verstehen wir die Väter oder missverstehen wir sie - in Spenglers Sinne - in solchem Grade, dass sie uns erst so recht eigentlich weltgeschichtlich zu den Großvätern lotsen? Wie können wir dann von echtem Verständnis der Antike sprechen? Reicht der Atheismus des späten Ingeniums aus, um die gesamte Antike zu verstehen? Aber ist es nicht psychologisch gerechnet näher, die Väter sich einredend zu kennen ("Der kann mir nichts mehr zeigen, ich kenne Alles von ihm"), um mit gutem Gewissen sich von Ihnen zu trennen, den Großvätern sich anzunähern? Damit ist der Irrtum ja nicht ausgeschlossen. So haben einst, wie Sie sagen, die Griechen die Ägypter verkannt. Die weltgeschichtliche Zyklik des Sättigungsgefühls macht doch notwendig blind und damit dem Vorhergehenden auf dieser Ebene befremdlich. So ist im abendländischen Gottesverständnis die Renaissancezeit durchaus primitiv, doch verhältnismäßig fromm. Rechnet man das Nord-Süd Gefälle hinzu, wie Sie es im Zerfallskapitel andeuten, so kommt man sogar mit Konstruktionen diverser Pseudomorphosen auf das gleiche grafische Resultat, wie Ihre Kurven sie darstellen.... Nun erinnert mich dieser Umstand, falls ich recht haben sollte, an Ihre Darlegung der Anwendbarkeit diverser Inertialsysteme, den Wahlmöglichkeiten für die praktische Handhabung. Was mich ultimativ zur erneuten Gegenüberstellung der beiden Werkstitel führt. UdA und KuI. Das sind zwei verschiedene Inertialsysteme.

..... Verdammt! Jetzt ist mir mein Finale flöten gegangen, da ich mal wieder in der Schreibleiste und nicht im eigenen Schreibprogramm getippt hatte. Bis hierher war zum Glück kopiert worden.

Es ist schon spät und ich beende es daher in wesentlichen Punkten. Spengler möchte die Planetenbahn berechnen, dafür braucht er keine Identifikationen mit anderen Hochkulturen. KuI tut eben das nicht, sondern betrachtet abgeschlossene Gebilde; durch ein Weltraumteleskop wird dem Werden in reiner Zyklik zugeschaut. Mit komplizierten pseudomorphologischen Konstruktionen lässt sich diese Zyklik nachbilden, mit dem Wechsel von Kultur und Ingenium lassen sich Leerläufe - Spenglers Vorzeiten/Nachzeiten- rauschaft und unhandlich nachzeichnen. Das ist der Unterschied zwischen Beobachter und Zuschauer.

Dürftig und notgedrungen habe ich den Gehalt meiner zuvor so schön gefassten Sätze erinnert. Das ist eigentlich ganz nebensächlich. Sollte ich damit recht habe, wird Sie das ohnehin zu weiteren Schlüssen verführen, die dem Intertialproblem dienlich sein mögen.

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Beitrag von Leser Di Aug 08, 2017 10:49 am

Gerne würde ich die erwähnte Passage aus den Wahlverwandtschaften nachlesen.

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Beitrag von ThWangenheim Di Aug 08, 2017 9:47 pm

Lesen Sie mal die erste Hälfte des 8. Kapitels aus dem 2ten Theil. Falls Sie (was ein böser Fehler wäre) noch keine Goethe-Gesamtausgabe besitzen, fotografiere ich Ihnen die drei Seiten auch.

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Beitrag von Leser Mi Aug 09, 2017 1:45 am

Der tiefe Witz dieser drei Seiten in bezug auf KuI möchte ich folgendermaßen ausdrücken: Wenn die Zeit wählt, so fällt der Unterschied von Verwandtschaft und Wahlverwandtschaft. Sie bezeichnen in der Sphäre der Weltgeschichte nämlich dassselbe, bloß spiegelverkehrt. Zum Beispiel nehmen Sie das Pomerium des Neuen Reiches und das Roms. Hierzu fehlt vielleicht einen nähere Ausführung in Ihrem Werke. Nämlich die Überformung des Pomeriums ins Verhältnis zu den vermittelnden Leerlaufzeiten zu stellen. 800-500 v. Chr. und 500-800 n.Chr. - sind das wirklich vollkommen identische Zeiten? Oder müsste man nicht hinsichtlich des faktisch vorgefundenen Pomeriums von spezifischen Überformungen auch dieser Leerläufe sprechen? Es gibt also ingen und kultisch überformte Zivilisation als Endzustand. Die Fernwirkung der Brandschatzung - ob danach eine besinnliche Hochkultur oder eine pragmatische folgt- hängt vom Ausdruck des Pomeriums ab. Sie strahlen alle und ziehen alle an, aber nachdem man dort ist, wirkt sie anders und zwar auf zwei Weisen. Die Ägypter waren den Seevölkern "wahlverwandt", die Antike war es für uns. Die Ägypter sind dem Abendande aber verwandt. Hier wählt die Zeit die Art der Verwandtschaft. Im Wesen des Wechsels aber sind sie dasselbe.

Mir ist noch etwas anderes aufgefallen. Und zwar tun Sie - oder Wir, wenn man alles hier zum Verhältnis der Ägypter als Frühingenium und des Abendlandes als das des späten als "neuen Aspekt" bezeichnen darf - sehr wohl Geschichte vorausbestimmen. Denn legen wir den Anstoß einer Trinität in die Hände der Großväter als die Schöpfer der Weltgeschichte im engeren Sinne, nehmen ihren Zukunftsdrang und unseren Rückwärtsgang als echt-verwandte Einheit, so ist klar, dass die Hüllkurve notwendig mit dem Untergang des Abendlandes abflacht -

"Der letztere setzt Überfluß voraus und führt zur Verschwendung. Lassen Sie uns bei Ihrem Beispiel bleiben, das auffallend genug ist. Sobald der Mangel eintritt, sogleich ist die Selbstbeschränkung wiedergegeben. Menschen, die ihren Grund und Boden zu nutzen genötigt sind, führen schon wieder Mauern um ihre Gärten auf, damit sie ihrer Erzeugnisse sicher seien. Daraus entsteht nach und nach eine neue Ansicht der Dinge."

Aber vollzogene Weltgeschichte hinterlässt keine Welt mehr für Geschichte in jenem Bezugssystem. Was auch immer in Zukunft noch alles sich vom westeuropäisch-amerikanischen Pomerium angezogen fühlt, es wird in keine Verwandtschaft mehr zur Antike treten können. Der Vorhang schließt. Die nächste Leerlaufzeit, welche unseren Untergang besiegelt, diese wird durch den Zusammenbruch der Hüllkurve in ein noch tieferes Ingenium münden, eines, das selbst uns fremd ist.

Und so kehrt doch tatsächlich Spengler wieder in Kultur und Ingeniun - Die Entität ist ausgedehnt auf die weltgeschichtliche Trinität, der einzigen, die sich dem Range nach Weltgeschichte nennen darf. Dieser einzigartige Zyklus hat ganz einzigartige "Stufen, die durchschritten werden müssen".





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