Geschichtsphilosophie
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Beitrag von ThWangenheim Mi Dez 21, 2016 9:55 pm

Einleitung im Booklet meines Hörbuchs von "Der Mensch und die Technik":

Wenn es eine bedeutende Differenz des Gemüts zwischen den rückwärtsgewandten Historikern und Geschichtsphilosophen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und dem Blankenburger Privatgelehrten Oswald Spengler gibt, dann diese, daß der Letzte nicht nur in der Melancholie des Barockmenschen, des historischen Schwärmers versank, sondern im selben Maße ein Zukunftsdeuter, Schwärmer des cäsarischen, des technischen Zeitalters war. Hierin – und es ist ohne Zweifel der größte Widersatz in Leben und Werk Spenglers – zeigt sich zugleich die historische, wie wahrhaft philosophische Natur dieser Denkerseele.

Dem Untergang des Abendlandes, seiner initialen und philosophischsten Schrift, hatte er in den 20er Jahren eine Reihe von politisch-gesellschaftlichen Aufsätzen und Abhandlungen nachfolgen lassen, die dem Sperrig-Gewaltigen des UdA gewissermaßen die volkstümlich-leichte Aufbereitung seines Denkens entgegenstellte. 1931 jedoch erhob sich – neben der Arbeit an den nie vollendeten Urfragen – noch einmal der philosophische Geist in jenem Manne, dessen Unabhängigkeit gegenüber praktisch allen Zeitgenossen ihn zu einem echten Einzelgänger erhob, der im Nachhinein völlig zu Unrecht der „konservativen Revolution“ zugerechnet wurde, ohne daß er mit Jünger, Schmitt oder Mann je Kontakt gepflegt hätte.

Denn der Konservatismus war für Spengler lediglich die politische, der historische Fatalismus aber die philosophische Antwort auf den Niedergang dessen, was er zu definieren sich so ausführlich gekümmert hatte: der Kultur. Daher hieß Konservatismus für ihn nichts als: klassischer Liberalismus. Das tut sich nicht zuletzt in seiner aufsteigerfreundlichen Bildungsreform im Neubau des Deutschen Reiches kund.  Der Sozialismus in Preußentum und Sozialismus war denn auch vielmehr als ideelle Einheit zu verstehen, denn als vollumsorgender Sozialstaat.

Dieser Liberalismus nun weist auf jenes Zukunftsdenken Spenglers, das in seiner Philosophie das zweite Herz bildete, das Ach! in seiner Brust schlug: Man könnte es die Faszination des Flugmotors nennen, die schon aus jener Stelle des UdA spricht und in Der Mensch und die Technik wiederkehrt, an der es heißt: Im andern Fall wäre es besser, […] einen Flugmotor zu konstruieren als eine neue und ebenso überflüssige Theorie der Apperzeption – der Flugmotor als das höchste Zeichen des faustischen Drangs zum Übermenschlichen, zum Perpetuum mobile, d. i. die Idee der Maschine selbst, und dem ewigen Traum des Menschen: zu fliegen.

Überhaupt ist es die Faszination des Gewaltigen, die Spengler in jeder Hinsicht getrieben hat: die Faszination von der ungeheuren Architektur, der Festungsanlagen, die er bereits als Kind mit Leidenschaft zeichnete, die Faszination vom Glanz und der lebendigen Ordnung des Barock, die Faszination von der inneren Kraft und Gewalt längst versteinerter Urseelen aus Gotik, Dorik und Altem Reich. Und schließlich die größte aller Faszinationen: von der Überwindung aller Grenzen durch den faustischen Menschen. Selbst jener Grenze, die doch die Grenze aller Grenzen sein sollte: die Überwindung des Selbst, die Überwindung des faustischen Menschen durch den faustischen Menschen. Es ist die unbegreifliche und zugleich faszinierende Tatsache der Selbstzerstörung einer Kultur, die Spengler zutiefst berührte. Und zwar als Historiker, der an der untergegangenen, sowie auch als später Mensch, der selbst in einer im Untergang begriffenen Kultur leidet. Seine Trauer über diese Katastrophe tröstete er mit dem Heroischen des Vorgangs und dem ehrlichen Verstehen und Einfühlenwollen in den zivilisatorischen Geist, dessen Habitus dem der Kultur fremd, ja verachtungswürdig ist, und damit auch Spengler selbst, dem Barockmenschen, der sich zwang, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Eine Therapie auf eigene Kosten: Das ist Der Mensch und die Technik – Beitrag zu einer Philosophie des Lebens, des faustischen Lebens.

Nun ist freilich jeder philosophische Beitrag Spenglers einer zum Leben, sofern seine Philosophie immer eine Philosophie des Lebens war. Und doch handelt sie, wie auch Der Untergang des Abendlandes es bereits titelt, mehr vom Ende des Lebens, vom Tod. Dennoch durchschreitet er mit uns den gesamten Zyklus: Von der Geburt über die Blüte bis zum Niedergang. Dieser Zirkel (besser: dieser Zirkelbogen, wie ich in Kultur und Ingenium S. 22/26 erklärt habe), der im Untergang für jede Kultur durchschritten wird, weitet sich in Der Mensch und die Technik nun auf jenen Kreislauf des Menschengeschlechts überhaupt und folgt den Anfängen des halbtierischen Tuns bis zum Untergang aller Hochkulturen, aller Technik, also des Menschen, an dessen Schwelle wir – das die große Tragik des Vorgangs – selbst stehen.

ThWangenheim
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